Lufthoheit per Kurzmitteilung
Wie sich NPD und Neonazis in Mecklenburg einen mutmaßlichen Fall von Kindesmissbrauch zunutze machen
»Todesstrafe für Kinderschänder« – in Gadebusch, der mecklenburgischen Kleinstadt auf halbem Weg zwischen Schwerin und Lübeck, ist diese Parole schon lange präsent. Wer sich in den letzten beiden Jahren mit offenen Augen durch den Ort bewegte, sah immer wieder Autos mit entsprechenden Aufklebern auf der Heckscheibe. Drinnen saßen, wie Jugendliche aus der kleinen alternativ-linken Szene einschätzen, oft jüngere Erwachsene, die man mehr oder minder in der Nähe der rechtsradikalen Szenerie einzuordnen hatte. Unter Schülern seien gelegentlich SMS-Mitteilungen mit der populistischen Botschaft herumgegangen, wenn ein Fall tatsächlichen oder vermeintlichen Kindesmissbrauchs durch die Medien ging.
Nun aber hat Gadebusch seinen eigenen »Fall«. Ein 22-Jähriger aus dem Ort soll im Beisein zweier junger Mädchen Pornofilme angesehen und mindestens eins davon sexuell berührt haben. Von einer darüber hinausgehenden Gewaltanwendung ist nichts bekannt. Eins der Kinder soll seiner Mutter von dem Vorfall berichtet haben, nach einer anderen Version habe der mutmaßliche Täter selbst dem ihm bekannten Vater davon berichtet. Die Mutter stellte eine Anzeige, der Verdächtige wurde zunächst festgenommen. Ende Oktober wurde allerdings bekannt, dass der Haftbefehl für die Zeit der Ermittlungen unter Meldeauflagen und einem absoluten Kontaktverbot außer Vollzug gesetzt wurde.
Seither überschlagen sich die Ereignisse: Zunächst zogen zwei unangemeldete Demonstrationen mit zwischen 100 und 250 Teilnehmern durch die Kleinstadt, auf denen laut Beobachtern das »Wegsperren« des Verdächtigen gefordert und zeitweise das Wohnhaus des Beschuldigten – der sich nicht im Ort aufhält – belagert wurde. Mobilisiert worden war durch Ketten-SMS.
Vergangenen Freitag kam es zu einer weiteren Kundgebung, diesmal hatte die NPD aufgerufen – unter grober Verdrehung der Sachlage. In einer Parteierklärung ist die Rede von »der Tatsache, dass den Aussagen der Mädchen nicht geglaubt wird und der Mann ungestraft bleibt.« NPD-Fraktionschef Udo Pastörs forderte vor 150 bis 170 Menschen, von denen Beobachtern zufolge längst nicht alle als Rechtsextremisten bekannt seien, härtere Strafen für »Kinderschänder« – auch die Todesstrafe. Dafür bekam er Applaus, auch Kundgebungsteilnehmer, die sich als betroffene Eltern vorstellten, hätten diese Forderung unterstützt. Wie orchestriert diese Wortmeldungen waren, sei schwer zu sagen. Gegen drei Dutzend Jugendliche aus dem links-alternativen Spektrum wurden Platzverweise verhängt.
Mittlerweile weiten sich die Aktivitäten der Rechtsextremisten zum Thema »Kinderschänder« in Mecklenburg-Vorpommern aus. In Güstrow drangen ebenfalls am Freitag mehrere Personen in ein Kino ein, in dem der Film »This is it« über den verstorbenen Popstar Michael Jackson gezeigt wurde. Die Gruppe, die sich auf Flugblättern »Nationale Sozialisten Güstrow« nannte, warf Werbetafeln um und zeigte ein Banner mit der Aufschrift »Kinderschänder«. Gegen Jackson war zu Lebzeiten wegen des Verdachts auf Pädophilie verhandelt worden, zu einer Verurteilung kam es allerdings nie. Güstrower Nazigegner bezeichneten die Aktion als Novum; bisher hätte sich die örtliche Naziszene nicht zu diesem Thema exponiert.
Die NPD macht schon lange mit der »Todesstrafe für Kinderschänder« Wahlkampf – auch in den krudesten Kontexten. Im Schweriner Landtag stellten die Rechtsextremen im vergangenen Jahr den Antrag, alle Aktivitäten im Rahmen des »Gender-Mainstreaming« einzustellen. Unter anderem fördere Gleichstellungspolitik die Pädophilie. Kommentar Seite 4
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