Die Urne aus dem KZ Sachsenhausen
Brandenburger Ausstellungen zur Verfolgung der polnischen und tschechischen Intelligenz
Zunächst durften die polnischen Priester im KZ Sachsenhausen keine Gottesdienste abhalten. Erst nachdem der päpstliche Nuntius in Berlin, Erzbischof Cesare Orsenigo, Druck gemacht hatte, gestattete die SS den Priestern, in Block 57 eine Lagerkapelle einzurichten.
Pawel Prabucki erhielt die Erlaubnis, dort die Messe zu lesen. Er und seine Brüder Alojzy und Boleslaw – alle drei waren katholische Priester – schmachteten in den Konzentrationslagern Stutthof, Sachsenhausen und Dachau. Alojzy starb im Juni 1942. Boleslaw transportierten die Faschisten einen Monat später nach Schloss Hartheim und ermordeten ihn dort. Weinend verabschiedete sich Pawel von Boleslaw und sprach zu ihm: »Gehe mit Gott, Bolek, gehe mit Gott. Grüße dort Mutter und Vater, und Alos. Sag ihnen, Bolek, dass ich bald nachkommen werde.« Auch Pawel überlebte die KZ-Haft nicht.
In zwei Wochen eröffnet die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten die Sonderausstellung »Vergessene Vernichtung?«, die über die systematische Verfolgung der polnischen und tschechischen Intelligenz zu Beginn des Zweiten Weltkriegs informiert. Am 19. November wird auf 120 Quadratmetern ein Teil der Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück eröffnet, am 21. November auf 600 Quadratmetern in der Gedenkstätte Sachsenhausen der andere Teil.
169 Professoren aus Krakow verschleppt
Die Lagerkapelle in Block 57 hatte einen Feldaltar erhalten, der einem polnischen Heeresbischof gehört haben soll. Die Ausstellung zeigt einen Kofferaltar, wie er von Priestern im KZ Dachau benutzt wurde. Die Stiftung realisiert die Schau in Zusammenarbeit mit der Jagiellonen-Universität in Krakow und der Karlsuniversität in Prag.
Die Sonderausstellung soll ein halbes Jahr lang zu sehen sein und wertvolle Exponate enthalten. Darunter befindet sich wahrscheinlich auch ein Fahndungsbuch des Reichssicherheitshauptamtes, in dem verzeichnet war, welche polnischen Intellektuellen verhaftet werden sollten. Das Fahndungsbuch galt als verschollen, konnte jedoch in einer Bibliothek in Katowice entdeckt werden.
Im Spätherbst 1939 hatten die Nazis 169 Professoren der Jagiellonen-Universität und 1200 tschechische Studenten nach Sachsenhausen gebracht. Unter den Professoren befand sich der renommierte Rechtswissenschaftler Stanislaw Estreicher (1869-1939). Er hatte unter anderem als Dekan der Juristischen Fakultät und als Rektor der Universität Krakow gewirkt. 1939 trat der Professor in den Ruhestand.
Nur aus Interesse und in Sorge um die Zukunft der Universität besuchte er trotzdem einen Vortrag, den der SS-Mann Bruno Müller dort über das angebliche deutsche Herrenmenschentum hielt – vor den Professoren der zweitältesten Universität Europas. Angekündigt war eine Rede zum deutschen Standpunkt in Hochschulfragen, aber alle Zuhörer wurden verhaftet. Estreicher starb noch 1939 in Sachsenhausen. Die Ausstellung zeigt das Paket, in dem die Urne mit der Asche an die Angehörigen in Krakow geschickt wurde. Ob es wirklich die Asche des Professors war, ist unklar.
Vergessen in der Bundesrepublik
Stiftungsdirektor Günter Morsch erinnert an die in Westdeutschland lange gepflegte Legende, der Zweite Weltkrieg sei erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion ein besonders brutales Schlachten geworden. »Tatsächlich war der Zweite Weltkrieg von Anfang an ein mörderischer Vernichtungskrieg, bei dem die Nationalsozialisten vor allem die Völker Osteuropas ihrer kulturellen Trägerschichten berauben und sie zu Arbeitssklaven herabwürdigen wollten.« Mit dem Ziel, die dortigen Eliten auszurotten, seien die Nazis in die Tschechoslowakei marschiert und in Polen eingefallen.
Dominiert werde die Erinnerung an Hitlers Verbrechen zu Recht vom Völkermord an den Juden, sagt Morsch. Doch an die anderen Opfer müsse genauso erinnert werden. Das Schicksal der polnischen Wissenschaftler sei in ihrer Heimat niemals vergessen worden, erzählte Morsch. In der Tschechoslowakei sei die Verfolgung der Studenten bereits in den 80er Jahren wieder ins Blickfeld gerückt. Der Ausstellungstitel »Vergessene Vernichtung?« beziehe sich auf die Situation in der Bundesrepublik, erklärt Morsch.
Ausstellung »Vergessene Vernichtung?«, Eröffnung am 19. November um 15 Uhr in der Gedenkstätte Ravensbrück, Straße der Nationen in Fürstenberg/Havel, am 21. November um 18 Uhr in der Gedenkstätte Sachsenhausen, Straße der Nationen 22 in Oranienburg.
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