»Nestbeschmutzer« setzt auf Putin
Russischer Polizist macht Korruption öffentlich
Bis Freitag sagte der Name Alexej Dymowski nur dessen Freunden und Kollegen etwas. Heute kennt ihn ganz Russland. Auch im westlichen Ausland verfolgt man mit einiger Spannung, wie es mit ihm wohl weitergeht. Denn der 32-jährige Polizeimajor aus Noworossijsk am Schwarzen Meer probt den Aufstand und fährt schwere Geschütze gegen seine unmittelbaren Vorgesetzten und den Apparat im Moskauer Innenministerium auf.
Gerade den Beamten im Innenministerium wirft er Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht vor, seinen Vorgesetzten in Noworos-sijsk insbesondere Korruption und Amtsmissbrauch: Um die Statistik zu schönen, würden er und seine Kollegen gezwungen, zu Straftaten zu ermitteln, die gar nicht begangen wurden – und damit letztlich Unschuldige dafür hinter Gitter zu bringen. Wer sich weigert, diese Praxis mitzutragen, würde bei Beförderungen und Prämien übergangen. Auch er, Dymowski, habe sich den Stern des Majors mit derartigen Praktiken verdient. Dazu kommen Klagen über unzumutbare Dienstbedingungen. Höhere Dienstränge würden ihre Untergebenen wie Vieh behandeln und ihnen jede Menge unbezahlte Überstunden abverlangen. Auch öffne ein Sold von gerade einmal 14 000 Rubel (etwa 325 Euro) der Korruption Tür und Tor.
Konkrete Beispiele für die angeprangerten Missstände, so Dymowski, habe er auf einem Diktiergerät festgehalten. Insgesamt handele es sich dabei um 150 Stunden Belastungsmaterial, das er Regierungschef Wladimir Putin bei einem persönlichen Treffen übergeben will. Zwar unterstehen Schlüsselressorts – darunter auch das Innenministerium – dem Präsidenten und nicht der Regierung. Dymowski indes hält Putin, wie viele seiner Landsleute auch, nicht Staatschef Dmitri Medwedjew, sondern nach wie vor den Premier für den Mann, der in Russland das Sagen hat.
Putin allerdings schweigt zu den Vorgängen beharrlich. Dymowskis unmittelbare Vorgesetzte indes haben inzwischen ihre anfängliche Schreckstarre überwunden und versuchen, den Nestbeschmutzer zu stoppen. Zumal seit Montag eine von Innenminister Raschid Nurgalijew in Marsch gesetzte Kommission in der Region Krasnodar zu den Vorwürfen ermittelt und zu einzelnen Aspekten bereits fündig geworden sein soll.
Die Videos standen noch keine 36 Stunden im Internet, als Dymowski seine Entlassung bekam. Auch warfen ihm seine Chefs vor, er sei von einer westlichen Menschenrechtsorganisation gekauft. In den vergangenen Tagen reiste er nach Moskau, mit dem Auto, da seit Montag seine Geldkarte gesperrt ist und er so nicht genügend Geld für Flugticket oder Zugfahrkarte hatte. Er schaffte die 1550 Kilometer nach Moskau an einem Tag, obwohl Straßenposten mehrfach versuchten, seine Weiterfahrt zu verhindern. In der Hauptstadt angekommen, gab der Offizier weitere pikante Details zum Besten: Unter anderem, dass die Polizei in Noworossijsk tschetschenische Untergrundkämpfer unter Waffen haben soll. Besonders peinlich: Dymowskis Pressekonferenz fand am Tag der Miliz statt, der landesweit mit festlichen Veranstaltungen begangen wird.
Zu dem Skandal äußerten sich inzwischen tausende Menschen auf Internetseiten – darunter auch Polizisten. Die meisten waren bereit, ihren »Blutsbruder«, wie einer schrieb, mit ähnlichen Beispielen zu Amtsmissbrauch aus ihren Regionen aufzumunitionieren.
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