Boliviens Wirtschaft glänzt
Südamerikanisches Land kann einige Erfolge vorweisen
»Unsere Wirtschaft hat die Krise bisher außergewöhnlich gut gemeistert«, so kündigte Boliviens Wirtschafts- und Finanzminister Luis Arce am Dienstag die Vertiefung des »neuen ökonomischen Modells« an. Die Industrialisierung des exportabhängigen Andenlandes, der Ausbau des unterentwickelten Wegesystems und Präventionsmaßnahmen zur »Abwehr von Finanz-, Energie-, Lebensmittel- und Klimakrisen« seien für eine mögliche Regierungszeit 2010 bis 2015 oberste Ziele, so Arce in einem Zeitungsinterview.
Tatsächlich ist die zweitschwächste Volkswirtschaft des südamerikanischen Kontinents so gut aufgestellt wie selten zuvor. Unerwartetes Lob war letzte Woche vom Internationalen Währungsfonds (IWF) gekommen. »Bolivien hat eine angemessene Wirtschaftspolitik verfolgt. Die Akkumulierung von Ersparnissen und Geldreserven erlauben dem Land die Durchführung antizyklischer Maßnahmen«, lobte Gilbert Terrier, IWF-Chefanalyst der Abteilung für die westliche Erdhalbkugel, die Linksregierung. Bis Ende des Jahres werde der zweitgrößte Erdgasexporteur des Subkontinents seine aktuelle Wachstumsrate von vier Prozent halten können und damit an der Spitze aller südamerikanischen Ökonomien stehen, so der IWF-Bericht »Wirtschaftliche Perspektiven der Amerikas 2009«. Die bisherige Strategie der Armutsbekämpfung über »fokussierte Sozialpolitik« sowie der Ausbau der unterentwickelten Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahn, Krankenhäuser und Schulen hob Terrier als »gelungen« hervor. Der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) empfahl der Ökonom, die »Reaktionsfähigkeit auf externe Schocks« weiter aufrecht zu erhalten.
In La Paz wurde das Lob mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen sieht man sich angesichts der schwarzen Zahlen in der Anwendung des »neuen ökonomischen Modells« bestätigt. Das Verhältnis zum marktradikalen IWF bleibt wegen »ideologischer Differenzen« dennoch gespannt. Seit dem Regierungsbeginn der Regierung von Evo Morales wurden weder Kredite noch Berater in Anspruch genommen.
Denn das seit den 1980er Jahren nach Vorgaben von Weltbank und IWF durchprivatisierte Andenland hat wirtschaftspolitisch neue Wege beschritten. Strategische Sektoren vom einstigen »Musterland des Washington Consensus« wie Bergbau und fossile Energien (Gas, Öl), Fluglinien, Eisenbahn, Strom und Wasser wurden teilweise oder ganz unter staatliche Kontrolle gestellt. So bescherte die Nationalisierung der Energiewirtschaft im Mai 2006 verdreifachte Einnahmen. Die Gasrente brachte dem öffentlichen Haushalt frisches Geld (2008: rund 2,7 Milliarden US-Dollar). Hohe Weltmarktpreise für Gas und Öl halfen bei der Sanierung der verschuldeten Staatskasse – von 4,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 sanken die Schulden auf heute 2,4 Milliarden.
In drei Jahren kletterten die internationalen Währungsreserven von 1,7 Milliarden US-Dollar auf die historische Rekordhöhe von über acht Milliarden. In Zeiten der Krise wurde die nationale Währung »Boliviano« durch zunehmende Entkoppelung vom schwächelnden Dollar vor Abwertung geschützt, die Zinsen blieben stabil und trugen zur Stimulierung der Binneninvestitionen bei.
Als wichtiger Faktor zur Wachstumsankurbelung gilt der private Binnenkonsum. Hier wirkten staatliche Umverteilungsmaßnahmen für die gesellschaftlich Schwächsten wie Kinder (Schulgeld »Juancito Pinto«), Alte (»Rente der Würde«) und Mütter (Muttergeld »Juana Azurduy«). Über ein Viertel der Bolivianer kommt nun in den Genuss des Bonus-Systems. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt stieg innerhalb der letzten drei Jahre von 1010 auf 1651 US-Dollar.
Doch zu tun gibt es weiter viel: Noch immer müssen 40 Prozent in dem Neun-Millionen-Einwohner-Land mit weniger als einem Dollar über den Tag kommen.
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