Weißer Fleck im schwarzen Nebel
Wissenschaftler wollen Magnetresonanzverfahren öfter gegen Brustkrebs einsetzen
Schönheit schützt vor Krebs nicht – wieder einmal hat es eine Prominente erwischt. Seit die 31-jährige Fußballergattin Sylvie van der Vaart im Sommer zum ersten Mal über ihren Brustkrebs sprach, bangt die ganze Nation mit der blonden Schönheit, die derzeit mit Dieter Bohlen eine bekannte Sendung im Privatfernsehen moderiert. Von den Strapazen der Chemotherapie ist der Niederländerin kaum etwas anzumerken – auch dank implantiertem Echthaar.
Mit schöner Regelmäßigkeit folgt auf die Erkrankung von Stars und Sternchen ein Run auf Krebsuntersuchungen. Nach der australischen Popsängerin Kylie Minogue nennen Experten dieses Phänomen den Kylie-Effekt. Allerdings bringt die Standardröntgenuntersuchung der Brust Frauen im Alter von Kylie Minogue oder Sylvie van der Vaart herzlich wenig. Ihr Brustgewebe ist zu dicht und die Strahlenbelastung zu hoch.
In Westeuropa und den USA macht Brustkrebs bei Frauen knapp 28 Prozent aller Krebserkrankungen aus. In der Bundesrepublik erkranken laut Krebsregister jährlich 57 000 Frauen, 17 500 sterben pro Jahr. Doch keine Frau muss angesichts dieser Zahlen in Panik verfallen: Von 1000 heute 60-jährigen Frauen müssen etwa sieben damit rechnen, vor ihrem 70. Geburtstag an Brustkrebs zu sterben. Mit der Einführung des Mammografie-Screenings im Jahr 2006, einer Röntgenreihenuntersuchung der Brust, sollte die Krebsfrüherkennung entschieden verbessert werden. Dass das gelungen ist, räumen auch die Kritiker ein. Seitdem die Krankenkassen für alle Frauen im Risikoalter zwischen 50 und 69 Jahren die Kosten für den Check zahlen, konnte das so genannte »graue Screening« erheblich zurückgedrängt werden. Bei diesen nicht kontrollierten Untersuchungen lag die Zahl falsch positiver und falsch negativer Diagnosen sehr hoch – oft mit schlimmen Folgen für die Frauen.
Doch auch das Mammografie-Screening ist umstritten: Es fördere zu viel ans Tageslicht, was dann ohne Not behandelt würde, während die sehr schnell wachsenden Tumore weiterhin durchs Netz schlüpften, so die Kritiker, die sich auf Untersuchungen des Kopenhagener Nordic Cochrane Center berufen. Demnach stirbt von 2000 Frauen, die zehn Jahre lang am Screening teilnehmen, eine weniger an Brustkrebs. Gleichzeitig würden zehn gegen Krebs behandelt, bei denen die Erkrankung nicht ausbrechen würde, und 200 Frauen mindestens einmal wegen eines unklaren Befundes bestellt, der sich später als falsch herausstellt. Die Reihenuntersuchung senke die Sterblichkeitsrate zwischen 25 und 35 Prozent, halten die Befürworter dagegen. Dass es sich bei dieser Angabe um relative Zahlen handelt, fällt dabei häufig unter den Tisch: 25 Prozent heißt, dass mit dem Screening von 1000 Frauen statt vier nur noch drei Erkrankte sterben.
«Wir brauchen bessere ergänzende Verfahren«, meint Werner A. Kaiser. Der Radiologe, der das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Jena leitet, setzt dabei auf die Magnetresonanztomografie (MRT, auch MRM für Magnetresonanzmammografie), bei der mit starken Magnetfeldern Schnittbilder erzeugt und zu einem dreidimensionalen Bild zusammengesetzt werden. So sollten künftig unklare Befunde nicht automatisch per Biopsie abgeklärt werden, bei der den Frauen Gewebe aus der Brust entnommen wird. »Bei jedem Kopfweh schieben wir die Patienten in die Röhre. Warum nicht bei Verdacht auf Brustkrebs?«, so Kaiser anlässlich des fünften internationalen MR-Kongresses im September in Jena.
Dabei habe das MRT den Röntgenstrahlen einiges voraus: Keine Strahlenbelastung, keine Schmerzen durch das oft nötige Zusammendrücken der Brüste, vor allem aber mehr relevante Infos. So könnten die Röntgenstrahlen nur Tumore ausmachen, die isoliert im schwarz erscheinenden Fettgewebe liegen, »als weißer Fleck im schwarzen Nebel«. Im dichteren Drüsengewebe hingegen würden sie oft übersehen. Größter Nachteil des MRT: Um die Bilder interpretieren zu können, ist viel Erfahrung und eine gute Ausbildung nötig. Kaiser macht jedoch einen weiteren Hinderungsgrund aus: Die Screeningbefürworter ständen »renitent« auf der Bremse, weil viel Geld in das Screening fließt – in der Bundesrepublik zwischen 300 und 500 Millionen Euro jährlich.
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