»Nicht Randale, sondern Attacke auf eine Idee«
Überfall auf Roter Stern Leipzig: Polizei und Politik versagten
Wenn die Männer von Roter Stern Leipzig zum Auswärtsspiel fahren, läuft manches anders als bei anderen Spielen in der Leipziger Bezirksklasse: So reisen Spieler und Fans gemeinsam in einem Bus an – zur Sicherheit. »Wir gelten als Exoten«, sagt Adam Bednarsky. Der Verein aus Connewitz fällt auf in der sächsischen Fußballprovinz. Ein Grund: Sport und Politik gehören zusammen. »Wir stehen für gesellschaftliche Werte«, sagt Bednarsky – und nennt »Antirassismus, Toleranz und Antisexismus«.
15 Minuten Prügel
Der Überfall, bei dem am 24. Oktober zwei Minuten nach Beginn des Spiels bei FSV Brandis 50 Neonazis über die Gäste herfielen und eine Viertelstunde brutal prügelten, traf RSL-Fans, die teils schwer verletzt wurden; er galt aber wohl den Ideen, für die ihr Verein steht: »Das war nicht nur ein organisierter Angriff«, sagt der Strafrechtler Diethelm Klescewski, »es sollte das Konzept getroffen werden.«
Wie es zu dem Überfall kommen konnte, ist noch immer unklar. Bei vorangegangenen Auswärtsspielen
von RSL, die regelmäßig von Dutzenden Rechtsextremen heimgesucht würden, seien bis zu 100 Polizisten im Einsatz gewesen, berichtete Bednarsky bei einer Anhörung der LINKEN im Landtag. In Brandis waren zunächst nur zwölf Beamte präsent; nennenswerte Verstärkung kam erst nach mehr als einer halben Stunde.
Dabei sei mit Attacken zu rechnen gewesen, sagt die Linksabgeordnete Kerstin Köditz: Nach der Schmach einer gescheiterten Demonstration in Leipzig Mitte Oktober habe die rechte Szene im Internet Racheakte angedroht. Fußballplätze unterer Ligen sind ein beliebter Tummelplatz. Anfang Oktober wurde ein Fan von Chemie Leipzig von Neonazis nach einem Spiel brutal angefahren. Unter den Angreifern war ein NPD-Stadtratskandidat. Wie es in Brandis, wo sich unter den mittlerweile fünf festgenommenen Tätern ebenfalls ein NPD-Kandidat befand, dennoch zu der Fehleinschätzung der Polizei kam, bleibt offen. Der zur Anhörung eingeladene Polizeipräsident Bernd Merbitz sagte kurzfristig ab.
Generell werde das Problem von Neonazis im Fußball bislang im Freistaat unterschätzt, sagt Köditz. Sie verweist auf eine aktuelle Publikation zum Thema, die unter anderem mehrere Einschätzungen von Landesämtern für Verfassungsschutz zitiert. Während die Behörde in Brandenburg beobachtet, dass sich Rechtsextreme gezielt in Fußballvereinen organisieren und diese als quasi unpolitische »Vorfeld-Organisation« betrachten, wird in Sachsen strikt abgestritten, dass es eine »Unterwanderung« von Vereinen, Fanklubs oder Ordnerdiensten gebe. Von einer Unterwanderung will zwar auch Petra Zais nicht sprechen, die beim Kulturbüro Sachsen Kommunen oder Vereine bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus berät: Deren Anhänger müssten »nichts mehr unterwandern, weil sie bereits Teil der Gesellschaft sind«.
Verpönte Politik
Gerade Sportvereine würden indes zunehmend zum Feld der Auseinandersetzung – aus zwei Gründen, wie Zais sagt: Zum einen bleibe nach der finanziell begründeten Schließung anderer Einrichtungen oft nur noch der Verein übrig; zum anderen seien »die Vereine ein Teil des Problems«. Nicht nur in Brandis, wo ein Jugendtrainer für die NPD kandidiert haben soll, sind bekennende Rechte in den Sportvereinen aktiv, die Konfrontation aber werde gescheut, weil auf eine strikte Trennung von Politik und Sport gepocht wird: »Man meint vielerorts, sich zur Demokratie zu bekennen, sei eine unangemessene politische Artikulation.«
Das Kulturbüro will dem entgegentreten – unter anderem mit einer Handreichung, die aber im Fußballverband kaum weitergereicht werde. Zais betont zudem, bestimmte Grundsätze könnten in Satzungen aufgenommen werden. Daneben wird mehr Geld für Fanprojekte gefordert. »Wenn diese so viele Mitarbeiter hätten wie Bereitschaftspolizisten am Spielfeldrand stehen«, sagt Klescewski, »hätten wir viele Probleme nicht.«
Derweil ordnete ein Sportgericht gestern die Wiederholung des Spiels an – unglaublich, heißt es bei RSL: Schließlich habe der FSV Brandis schon einmal nicht für die Sicherheit garantieren können.
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