Kulturkahlschlag in Erfurt
Thüringens Landeshauptstadt ist pleite und streicht bei freiwilligen Ausgaben drastisch
In Erfurt geht es ans Eingemachte: Etwa 40 Millionen Euro fehlen der Landeshauptstadt 2010 für einen ausgeglichenen Haushalt. Für Aufregung sorgt nun ein internes Papier aus dem Rathaus mit dem Titel: »Unaufschiebbare Ausgaben im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung«, das radikale Kürzungen in Kultur und Sozialem vorschlägt: 15 Prozent im Etat der kommunalen Kulturprojekte, 25 Prozent in der Jugendförderung und in der Familien-, Senioren- und Behindertenarbeit sogar bis zu 50 Prozent. Für viele der Projekte bedeutet dies das Aus. Einige freie Träger von Soziokultur und Sozialverbänden haben bereits vorsorglich ihren Mitarbeitern kündigen müssen.
Matschies Versprechungen
Ohnehin haben die Projekte in den letzten Jahren immer heftigere Einschnitte kompensieren müssen. Jetzt geht nichts mehr, so heißt es aus den Einrichtungen übereinstimmend. Den freien Trägern der sozialen Einrichtungen hilft es wenig, dass Kultusminister Christoph Matschie (SPD) die Kultur zur Chefsache erklärt hat.
Das Land werde die Projektförderung erhalten und ausbauen, hatte Matschie in einem Interview versprochen und in Erfurt schon mal Förderzusagen verteilt: So finanziert das Land in der »Schotte« eine Stelle, die nicht an eine Kofinanzierung der Kommune gebunden ist. Zudem gibt es einen Zuschuss für Jugendkulturarbeit. Insgesamt 70 000 Euro bekommen »Die Schotte« sowie zwei weitere Einrichtungen in Erfurt. Befürchtungen werden laut, dass vor allem jene die Zuwendungen bekommen, die am lautesten trommeln.
Auch die LINKE, die als Koalitionspartner mit der SPD im Rathaus regiert, steckt in der Bredouille. Als die CDU in Erfurt am Ruder war, organisierte die Linkspartei Widerstand gegen Kürzungen in Kultur und Sozialem. Jetzt muss sie die schmerzhaften Einschränkungen selbst vertreten und kann kaum etwas dafür. In diesem Jahr brachen die Steuereinnahmen der Landeshauptstadt um etwa ein Drittel weg. Sie beliefen sich in den ersten drei Quartalen auf 68 Millionen Euro – 94 Millionen waren es im Vorjahreszeitraum. Dem gegenüber stehen höhere Ausgaben, etwa für Personal oder Sachkosten. Immer unwahrscheinlicher wird, dass die Stadt Anfang 2010 eine Haushaltssatzung verabschieden kann. Neben den Einbrüchen bei der Gewerbesteuer liegt das daran, dass nicht klar ist, wie viel Geld vom Land kommt, das seinen Haushalt erst im April vorlegen wird. Ohne Haushalt darf die Landeshauptstadt nur laufende oder verpflichtende Ausgaben begleichen.
Vorläufiger Haushalt
Hilflos mutet da ein Beschluss des Stadtrates von Ende November an. Es sei eine Förderung zu gewähren, die eine Fortsetzung der Arbeit der freien Träger sicherstelle, heißt es da. Die Zuwendungsempfänger selbst sollen nun Projekte und deren Finanzbedarf benennen, die unerlässlich seien.
Mit einem vorläufigen Haushalt, den der Stadtrat am 16. Dezember beschließen soll, will die Stadt sich zumindest bis zum Sommer durchhangeln. Dann sollen die Etats endgültig abgesegnet werden. Dies wäre immerhin besser als eine externe Zwangsverwaltung, bei der freiwillige Aufgaben nicht mehr finanziert werden – wie zum Beispiel die freie Kulturszene, für die Erfurt im letzten Jahr 80 Millionen Euro ausgab.
Die Kulturleute und freien Träger haben da noch eine andere Idee. Die Stadt solle den Rotstift besser bei ihren Zweck- und Renommierbetrieben ansetzen, heißt es in einem offenen Brief von Kulturschaffenden: bei Kaisersaal, Stadion, Oper und Domstufenfest.
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