Unter einem Dach oder aus einer Hand

Zukunft der Jobcenter weiter ungewiss / SPD und Union zeigen sich aber kompromissbereit

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Während der gestrigen Bundestagsdebatte um die Zukunft der Jobcenter ließen Union und SPD beinahe so etwas wie Kompromissbereitschaft erkennen. Doch von einer wirklichen Lösung sind beide Lager noch weit entfernt.
Sind hier bald zwei Briefkästen notwendig?
Sind hier bald zwei Briefkästen notwendig?

Die Krise wird 2010 auch den deutschen Arbeitsmarkt erreichen, da sind sich die Experten sicher. Ausgerechnet dann, wenn in die ohnehin überlasteten Jobcenter mit Hunderttausenden von Neuanträgen auf Hartz IV fertig werden müssen, soll das ganze System der Betreuung von Langzeitarbeitslosen umgebaut werden. Wenn nicht ein kleines Wunder geschieht. Seit das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2007 entschied, dass die Kooperation in den Jobcentern (Argen) zwischen Bund und Kommunen gegen das Grundgesetz verstößt, suchen Union und SPD nach einem Kompromiss. Dabei geraten sie zunehmend unter Zeitdruck, denn im Dezember 2010 läuft die von Karlsruhe gesetzte Frist aus. Dann muss eine Lösung gefunden sein.

Die SPD-Bundestagsfraktion hatte am Donnerstag gleich zwei Gesetzentwürfe eingebracht, um die »Betreuung aus einer Hand« zu retten. Die Jobcenter sollen zukünftig als »Zentren für Arbeit und Grundsicherung (ZAG)« ihre Tätigkeit fortsetzen. In diesen Anstalten öffentlichen Rechts blieben die jetzigen Zuständigkeiten erhalten: Die Bundesagentur übernimmt die Arbeitsvermittlung und die Kommunen kümmern sich um Sozialleistungen. Der einzige Haken: Um die ZAG einzurichten, müsste man gleich zwei Verfassungsartikel ändern. Andernfalls würde Karlsruhe erneut eingreifen.

Zwar zankten sich die Parlamentarier im Laufe der Debatte wie üblich, doch in der Sache gaben sich beide Seiten kompromissbereit. So versprach der CDU-Abgeordnete Dörflinger »Wir werden keine Tür von vornherein zuschlagen«. SPD-

Fraktionsvize Hubertus Heil zeigte sich seinerseits bereit, die Zahl der derzeit 69 Optionskommunen »moderat« zu erhöhen. Das Modell Optionskommune, in dem die Landkreise alleinige Verantwortung für ihre Hartz-IV-Betroffenen übernehmen, war auf Druck der CDU im Zuge der Hartz-IV-Reform eingeführt worden. Der rot-grünen Bundesregierung war es damals jedoch gelungen, ihre Anzahl auf 69 zu begrenzen. Der FDP-Abgeordnete Heinrich Kolb begrüßte Heils Vorschlag, warf aber die berechtigte Frage auf, wie viele Kommunen sich denn für die Option entscheiden dürften. Jüngst hatten sich bei einer Befragung 171 von 240 Landkreisen für ein solches Modell ausgesprochen. Zugleich betonte der FDP-Politiker,

dass man durchaus über »eine Verfassungsänderung diskutieren« könne.

Kolb war gestern nicht der einzige Vertreter der schwarz-gelben Koalition, der in dieser Frage auf die SPD zuging. Sicher auch ein Zeichen für den Unmut im Koalitionslager über den Kurs des Bundesarbeitsministeriums. Einem Eckpunktepapier aus ihrem Hause zufolge sollen die Zuständigkeiten von Bund und Kommunen formal getrennt werden. Lediglich »freiwillige« Kooperation wären dann noch zulässig. Ressortleiterin Ursula von der Leyen (CDU) nennt diesen fragwürdigen Ansatz »Betreuung unter einem Dach«. Bei einer Sonderkonferenz der Landesarbeits- und Sozialminister am vergangenen Montag sprachen sich selbst CDU-Vertreter gegen von der Leyens Pläne aus. Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, die jeweils von einer schwarz-roten Koalition regiert werden, stellten sich offen gegen die Ministerin. Von der Leyen will trotz der innerparteilichen Bedenken im ersten Quartal 2010 einen Gesetzentwurf vorlegen.

Die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katja Kipping, warnte gestern, dass die mit der Zerschlagung der Jobcenter einhergehende Trennung der Rechtsaufsicht zu einer Verdoppelung der Verfahren vor Sozialgerichten führen werde. Dabei stöhnen die Richter schon jetzt unter der Flut von Klagen. Allein das Berliner Sozialgericht rechnet in diesem Jahr mit 80 000 Klagen wegen Hartz IV.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.