Zahltag: ALG-II-Empfänger in Aktion

Mit solidarischer Begleitung wehren sich Erwerbslose gegen das Hartz-IV-Regime

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Initiative »Keiner muss allein zum Amt« ermuntert Hartz-IV-Empfänger, bei ihrem Gang zum Jobcenter offensiver aufzutreten.

»Hallo, ich habe einen Termin beim Jobcenter. Wer kann mich begleiten?« E-Mails mit solchen Anfragen erhält Jens Schreiber mehrmals in der Woche. Er gehört zu einem Kreis von Menschen, die sich vor knapp einem Jahr in der Initiative »Keine/r muss allein zum Amt« zusammengeschlossen haben. Sie begleiten Erwerbslose auf Wunsch bei ihren Terminen in das Jobcenter.

In der Berliner Initiative sind Aktivisten von sozialpolitischen Gruppen und Erwerbslose vertreten. Zu ihnen gehört Petra, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. »Jeder Erwerbslose muss früher oder später zum Amt. Diese Termine sind meistens unangenehm«, berichtet sie über ihre eigenen Erfahrungen. Wenn eine Begleitperson dabei ist, sei der Ton oft wesentlich entspannter. »Da haben sich plötzlich Anträge regeln lassen, die vorher monatelang nicht bearbeitet worden waren.«

Das wird auch von Enno Stahl von der Arbeitslosenhilfe Oldenburg (ALSO) bestätigt. »Der Umgang auf den Jobcentern ist oft eine Zermürbungsstrategie für die Betroffenen. Die Begleitung ist dagegen eine Ermutigung für sie.« Die ALSO bietet seit Februar 2008 jeden Dienstag die Begleitung an. Dazu bauen sie vor dem Jobcenter ihren Informationstisch auf, wo sie von den Betroffenen angesprochen werden können. »Wir haben in Berlin auf den Erfahrungen der ALSO aufgebaut«, betont Jens Schreiber. Am Anfang ihrer Arbeit vermittelte ein ALSO-Vertreter auf einem Workshop Basiswissen für die solidarische Begleitung. Dazu gehörte auch der juristische Hinweis, dass das Recht auf Begleitung am Amt im Sozialgesetzbuch verankert ist.

Einmal im Monat treffen sich die Berliner Aktivisten zum Arbeitsfrühstück. Dort werden nicht nur die Begleitaktionen ausgewertet. Es wird auch über Perspektiven diskutiert. Da kann sich Schreiber noch einiges vorstellen. »Die Begleitaktionen werden positiv angenommen, wie die vielen Mailanfragen zeigen.« Doch ganz zufrieden ist der Aktivist noch nicht. So sei es bisher selten gelungen, Erwerbslose, die begleitet wurden, zur Mitarbeit zu ermutigen.

Offensiver werden

Zudem kann sich Schreiber vorstellen, dass die Aktionen offensiver gestaltet werden. »Vielleicht ist es auch in Berlin möglich, direkt im Jobcenter unsere Infotische aufzubauen. Dann könnten wir auch Sand im Getriebe des bürokratischen Alltags sein.« Dabei hat er die Kölner Aktivsten als Vorbild. Dort wurden vor der Arbeitsagentur (Arge) Anfang Oktober 2007 die erste Zahltag-Aktion organisiert. Der Name ist Programm. Nach einer Vollversammlung der Erwerbslosen im Foyer der Arge gingen die Aktivisten in die Büros der Sachbearbeiter und forderten die Bearbeitung von teilweise monatelang ignorierten Anträgen oder die Auszahlung von Geldern, die bisher zurückgehalten worden waren. Dass gerade in der Kölner Arge die erste Zahltagaktion organisiert wurde ist kein Zufall, meint ein Aktivist der »Kölner Erwerbslosen in Aktion« (KEAs), der namentlich nicht genannt werden will. »In ganz Köln gibt es nur eine Arbeitsagentur. Am Monatsanfang sind der Andrang und die Unzufriedenheit besonders groß, weil dann die Erwerbslosen vor der Tür stehen, die kein oder zu wenig Geld auf ihrem Konto haben.« Aus dieser Stimmung heraus ist der Zahltag entstanden. Mittlerweile haben in verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Rhein-Main-Gebiet, ähnliche Aktionen stattgefunden. In Köln haben sie schon Tradition. Dort fand die letzte Zahltag-Aktion am 30. November 2009 statt. Mittlerweile gibt es erste Strafverfahren gegen Aktivisten, die von Jobcenterleitern wegen Hausfriedensbruch und Beleidigung angezeigt worden waren.

Das Interesse an den Zahltagaktionen von Erwerbslosen aus ganz Deutschland sei weiterhin groß, betonte der KEAs-Aktivist. Die konkrete Umsetzung hänge natürlich von den konkreten Bedingungen vor Ort ab. Die solidarische Begleitung und die Zahltag-Aktion sind Reaktionen von Betroffenen, nachdem die Einführung von Hartz IV nicht verhindert werden konnte. Anders als die Montagsdemonstrationen gegen die Agenda 2010 stehen dabei die Jobcenter und Arbeitsagenturen im Fokus. Von den Medien werden sie deshalb oft nicht wahrgenommen. Doch der KEAs-Mann sieht darin sogar einen Vorteil: »Wir werden vielleicht nicht von der Presse, dafür aber von Menschen wahrgenommen, die sich bisher nie an politischen Aktionen beteiligt haben.«

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