Iranische Parallelen und Differenzen

Der Oppositionsbewegung fehlt noch manches, unter anderem ein charismatischer Führer

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die iranische Opposition hatte gleich zwei gute Gründe, ihre Anhänger ausgerechnet am vergangenen Wochenende zu neuen Protesten aufzurufen.

Es war die Aschura, der zehnte des Trauermonats Muharram, da die Schiiten des Märtyrertodes Hosseins gedenken, des Enkels des Propheten Mohammed. Umgebracht hatte ihn Schah Yesid aus der mächtigen Sippe der Omajaden, die im siebten Jahrhundert von Damaskus aus über ein islamisches Weltreich herrschte, das sich bis nach Spanien erstreckte. Aus Sicht der Schiiten waren es Usurpatoren, die direkte Verwandte des Religionsstifters um den Thron des Kalifen gebracht hatten.

Den Versuch, die Fehlentwicklung zu korrigieren, bezahlte Hossein mit dem Leben. Auch weil ihm nur wenige bis zuletzt die Treue hielten. Aus Reue darüber ziehen im schiitischen Iran am Aschura-Tag alljährlich Tausende zu öffentlichen Geißelungen durch die Straßen. Für die Opposition ist dies die einzige Chance für legale Kundgebungen. Denn die müssen in der Islamischen Republik einen religiösen Anlass haben.

Aus religiösen Gründen gab sich die Opposition auch einen Namen, der westliche Beobachter irritiert, weil sie ihn mit Umweltschutz assoziieren. Grün steht in Iran indes nicht für Ökologie, sondern als Farbe des Propheten für den Islam. Für den schiitischen, der – wie Georgi Mirski vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen weiß – keine Ungerechtigkeiten, auch keine Wahlfälschungen, duldet und den Kampf gegen eine ungerechte und ineffiziente Macht zur Pflicht eines jeden Gläubigen macht.

Das wurde 1979 schon dem Schah zum Verhängnis. Seine Armee verweigerte den Schießbefehl, als am Tag der Aschura – er fiel damals in den Januar – in Teheran Hunderttausende seinen Rücktritt forderten und den Sieg der Islamischen Revolution ausriefen. Für die heutige Opposition ein weiterer Grund für neue Aktionen akkurat zu diesem Datum. Russische Experten wie Mirski und Kollege Andrej Piontkowski vom Institut für Systemanalyse der Russischen Akademie der Wissenschaften warnen dennoch davor, einfach Parallelen zu ziehen. Zwar seien die Situation sehr ernst und das Regime auf dem absteigenden Ast. Auch weil ihm der Rückhalt bei den Eliten, die von den internationalen Sanktionen wegen Irans Kernforschungsprogramm hart getroffen werden, mehr und mehr abhanden komme. Prognosen, ob und wann die Rebellion das Regime stürzen kann, wagt dennoch niemand. Zum einen, weil die Opposition schwach und uneins ist. Auch über Ziele und Kampfmethoden. Eine gemäßigte Mehrheit will nur Reformen, zu revolutionären Veränderungen, gar zu einem Macht- und Systemwechsel ist gegenwärtig nur eine radikale Minderheit bereit. Obwohl Reformen nur sehr begrenzt möglich sind, auch bei gutem Willen von Regierung und Parlament: Das eigentliche Sagen haben der geistige Führer und der ihm unterstehende Wächterrat, der jeden Beschluss von Legislative und Exekutive als unislamisch annullieren kann.

Zwar gibt es vage Anzeichen dafür, dass der Spaltpilz auch die islamische Geistlichkeit infiziert hat. Bei der Beisetzung von Großayatollah Hossein Ali Montaseri, einst glühender Anhänger von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini, dann dessen Gegner, fielen durchaus Worte, die auf Rebellion hindeuten. Wie stark dieses Lager ist, lässt sich wegen der rigiden Zensur jedoch nicht feststellen.

Auch beschränkt sich der Protest – wie schon nach den Präsidentenwahlen im Juni – auf Teheran und andere große Städte. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt aber auf dem Land, hat von der Bodenreform der Islamischen Republik profitiert und vertritt eine ähnlich rigide islamische Moral wie die Massen im benachbarten Afghanistan.

Dazu kommt, dass der im westlichen Exil lebende Sohn des Schahs, dessen Regierungszeit viele ältere Iraner mit dreißigjährigem Abstand trotz aller Fehlleistungen und Demokratiedefizite als beste Zeit ihres Lebens verklären, derzeit die Übernahme politischer Verantwortung ablehnt und die Machtübernahme der Opposition nur unterstützen will. Einen Führer mit Charisma aber hat die Opposition bisher nicht in den eigenen Reihen. Und damit hat sie in Iran, das in der Tradition des Gottkönigtums steht, bis auf weiteres keine guten Karten.

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