Rache in Wasiristan
Von Max Böhnel, New York
Die USA haben ihre Drohnenangriffe auf mutmaßliche Taliban- und Al-Qaida-Ziele in Pakistan verstärkt. Seit dem Selbstmordattentat auf die am weitesten in »Feindesland« gelegene CIA-Basis im afghanischen Khost am 30. Dezember beschoss die Armee mindestens fünf Mal das nördliche Wasiristan – am Samstag starben wieder vier Menschen. Es geht dabei schlichtweg um Rache. Denn das Attentat des 32-jährigen Humam Chalil Abu Mulal Al Balawi, der den Geheimdienstlern als »Informant« erster Güte gegolten hatte, fügte der CIA den schwersten Schaden seit mehr als einem Vierteljahrhundert zu. Statt, wie versprochen, Auskunft über das Versteck der Nummer zwei von Al Qaida, Aiman Al Sawahiri, zu geben, zündete er eine am Körper verborgene Bombe und riss sich sowie fünf CIA-Agenten, zwei Angestellte der privaten Söldnerfirma Xe, ehemals Blackwater, und seinen jordanischen Führungsoffizier in den Tod. Mindestens sieben weitere CIA-Leute wurden schwer verletzt, darunter ein eigens aus Washington eingeflogener Oberst.
Die Frage nach der Identität und den Motiven des Jordaniers Al Balawi ist seit Samstag klarer. Medien hatten gemutmaßt, dass er zeitweise sowohl mit der CIA als auch mit dem jordanischen Geheimdienst zusammengearbeitet habe. Doch er ist immer ein überzeugter Dschihadist geblieben. Der arabische Fernsehsender Al Dschasira und das pakistanische Fernsehen zeigten ein Video, in dem Al Balawi erklärt, er werde den Tod des pakistanischen Taliban-Chefs Baitullah Mehsud rächen. Dieser war im August durch eine Rakete aus einer unbemannten Drohne zerfetzt worden.
Die CIA-Basis in Khost liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu den pakistanischen Stammesgebieten entfernt. Laut der Wochenzeitschrift »Time« ist sie das »CIA-Hauptquartier für den Drohnenkrieg gegen Al Qaida«. Der verheerende Anschlag sei »sehr viel bedeutender als das Fiasko von Detroit«, mit »weitreichenden Folgen für den Krieg in Afghanistan und für zukünftige CIA-Aktivitäten«. Entscheidende Sicherheitsmaßnahmen, wie sonst bei der Arbeit mit Informanten üblich, seien nicht ergriffen worden.
Laut »Washington Post« kam Al Balawi direkt aus Pakistan, stieg auf dem CIA-Gelände aus und zündete, kurz bevor er abgetastet wurde, die Bombe. Um das Fahrzeug hatten sich bereits ein gutes Dutzend CIA-Leute versammelt, die den seit Monaten als wichtigen Insider gehandelten Informanten kennenlernen wollten. Al Balawi soll dem mit der CIA freundschaftlich verbundenen jordanischen Geheimdienst aus Pakistan per E-Mail mehrmals glaubwürdig geschildert haben, wo und in welchem Umfang Drohnenangriffe Schäden verursachten. Doch diese Informationen lieferte er nach Absprache mit Taliban- und Al-Qaida-Spitzen. Ein gottesfürchtiger Muslim werde »seine Religion nicht verkaufen«, auch für viel Geld nicht, sagt Al Balawi in dem Video.
Derweil wird die durch den Anschlag bekannt gewordene Blackwater-Präsenz auf der CIA-Basis möglicherweise ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die demokratische Abgeordnete Jan Schakowsky, die dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses angehört, kündigte Nachforschungen an. Die wegen Morden und Vertuschungen ins Gerede gekommene private »Sicherheitsfirma« erhält weiter Aufträge des Verteidigungsministeriums, des Außenministeriums und der CIA. Dabei hatte CIA-Chef Leon Panetta im Juni vor dem Kongress erklärt, dass »Mord-Programme«, die Blackwater einbeziehen, aufgegeben worden seien.
Der im Zusammenhang mit dem jüngst vereitelten Anschlag auf eine USA-Passagiermaschine angeklagte Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab hat unterdessen am Wochenende vor einem Gericht in Detroit auf nicht schuldig plädiert.
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