Neue Pole in der Aktienwelt
Konzerne aus Nordamerika, Europa und Japan verlieren an Gewicht
Die Weltwirtschaft wandelt sich rasant. Jahrzehntelang dominierte die Triade USA, Japan und Westeuropa die Entwicklungen im Kapitalismus unangefochten. Damit könnte es bald vorbei sein. Frühere Entwicklungsländer wie Brasilien und China überholen die Platzhirsche auch an den Börsen.
Während Europa und auch der noch unangefochtene Spitzenreiter USA 2009 an Gewicht verloren haben, steigerten vor allem asiatische Unternehmen ihre Bedeutung an den Weltbörsen. So nahm die Zahl der chinesischen Unternehmen im Top-100-Ranking von acht auf elf zu, stellt der Beratungsmulti Ernst & Young fest, dessen Analysten die »Marktkapitalisierung« der am höchsten bewerteten Aktiengesellschaften weltweit untersucht haben. Auf Platz eins liegt bereits ein Gigant aus dem Reich der Mitte: Petrochina verdrängte mit einem Börsenwert von 353 Milliarden Dollar den US-Branchenkollegen ExxonMobil von der Spitze.
Nordamerika ist nur noch mit 39 Unternehmen unter den 100 teuersten Firmen der Welt vertreten (2008: 43). Europas Anteil sank von 38 auf 34. Zum Jahresende 2009 waren vier deutsche Konzerne vertreten (Siemens, E.on, Bayer und Telekom) – ein Jahr zuvor acht. Damit fällt Deutschland vom zweiten auf den sechsten Platz zurück – hinter China, Großbritannien, Frankreich und Japan und gleichauf mit Holland.
Auch die Strategien des Kapitals haben sich deutlich verändert, analysiert Hendrik Hollweg, Geschäftsführer bei Ernst & Young. Schock und Depression der Krise seien vorüber. »Die Investoren blicken wieder nach vorn und suchen nach neuen Chancen und Wachstumsmärkten.« Selbst Nachrichten wie die Dubai-Krise nähmen die Akteure wieder gelassen hin.
Vor allem die BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) spielen eine immer größere Rolle: Im Ranking konnten sich 18 Konzerne – gegenüber elf im Vorjahr – platzieren. Hollweg: »Die Investoren sind sich offenbar einig, dass das nächste Jahrzehnt den Schwellenländern gehören wird.« Während die Industriestaaten noch lange unter den Krisenfolgen leiden werden. »Die Weltwirtschaft entwickelt sich zu einem multipolaren System mit mehreren bedeutenden Wachstumsregionen.« Die Krise habe diesen Trend noch verstärkt.
Wolfgang Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut sieht Deutschland und Europa »vor weitreichende Herausforderungen gestellt«. Der Ökonom glaubt aber nicht an eine multipolare Welt in der Zukunft, sondern an ein »bipolares Gravitationszentrum« aus China und den USA.
Während die beiden Volkswirte Ungleichgewichte als Triebfedern für künftiges Wachstum sehen, bezweifelt dies Klaus Busch. Ökonomische und soziale Ungleichgewichte behinderten »ein ausgewogenes und krisenfestes Wachstum«. Der Europaexperte fordert in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung grundlegende Reformen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene.
Eine nachhaltige Schwäche des Standortes Deutschland fürchtet Analyst Hollweg nicht. Derzeit spreche vieles für eine relativ schnelle Erholung der Weltkonjunktur – davon würden mittel- und langfristig auch und gerade die exportorientierten Unternehmen aus Deutschland profitieren.
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