Die Hintertür ist noch offen

Ob der radioaktive Asse-Müll geborgen oder geflutet wird, bleibt unklar

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zukunft des strahlenden Mülls aus dem Lager Asse bleibt weiter ungeklärt. Zunächst sah es so aus, als könnten sich alle Beteiligten auf eine Bergung der Fässer einigen – nun werden die Stimmen der Flutungsbefürworter aber wieder lauter.

Es war ein mutiger Vorschlag, und er stieß allerseits auf großen Zuspruch. Am vergangenen Freitag sprach sich das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) dafür aus, in einem weltweit noch nie erprobten Verfahren die radioaktiven Abfälle aus dem maroden Atommülllager Asse herauszuholen. Kommentatoren, Umweltschützer und Politiker sämtlicher Parteien zollten dem Vorhaben Lob.

Das BfS, seit einem Jahr Betreiber des vom Volllaufen und Einstürzen bedrohten Bergwerks, hatte sich allerdings eine Hintertür offen gelassen. Falls Stichproben ergäben, dass sich die eingelagerten Fässer in einem deutlich schlechteren Zustand befänden als ohnehin befürchtet, könnte das Vorhaben noch einmal gekippt werden. Statt der Rückholung würde das Bergwerk dann mit Beton und einer Salzlösung verfüllt.

Auf eine Flutung hatte bereits der frühere Asse-Betreiber gesetzt. Atomkraftgegner waren dagegen Sturm gelaufen. Sie befürchten für diesen Fall, dass mit den Atommüllfässern auch die Tricksereien der Atomindustrie bei der Einlagerung für alle Zeiten unter einer Betondecke verschwinden.

Inzwischen haben sich die Kritiker einer Bergung zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende der Entsorgungskommission des Bundes, Michael Sailer, sagte am Wochenende, es sei bislang unklar, wie lange eine Rückholung der Fässer aus dem Bergwerk tatsächlich dauern würde. Die vorliegenden Studien kalkulierten den Ablauf sehr optimistisch. Für die Rückholung eines Fasses seien rechnerisch nur 4,8 Minuten vorgesehen. Stelle sich heraus, dass die Bergung viel aufwendiger werde, könne man diese Option vergessen. Sailer galt früher als einer der Hauptsachverständigen der Anti-Atomkraftbewegung. 2002 wurde er Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, seit 2008 sitzt er der Entsorgungskommission des Bundes vor.

Gegen eine Rückholung der teils korrodierten Fässer ist auch Professor Klaus-Jürgen Röhling. Der Endlagerexperte der Technischen Universität Clausthal hält die Bergung für technisch und logistisch kaum machbar. Hinzu komme, dass die Fässer nicht mehr ganz robust seien, da werde die Handhabung zum Problem. Röhlings in Deutschland einziger Lehrstuhl für Endlagerforschung wird von den Stromkonzernen finanziert.

Zudem legen Medienberichte über ein nachträgliches Glätten des BfS-Papiers zur Asse-Schließung nahe, dass die Bundesregierung doch mehr auf die Variante Flutung setzt als dies zunächst den Anschein hatte. So soll eine ursprüngliche Kernaussage gelautet haben: »Mit der Umsetzung der Option Rückholung ist schnellstmöglich zu beginnen.« In der Endfassung des Papiers steht nur noch: »Die Planungen zur Rückholung sind bis zur Ausführungsreife zu vollenden.«

BfS-Sprecher Werner Nording bestätigte den Verdacht politischer Einflussnahme gestern nicht. Es habe mit dem Bundesumweltministerium als Aufsicht eine fachliche Diskussion der Optionen gegeben, sagte er auf Anfrage. Das am Freitag vorgestellte Ergebnis werde vom Ministerium und vom BfS gemeinsam getragen.

Vor dem Hintergrund der vernehmlicher werdenden Stimmen gegen eine Bergung drängen die Bürgerinitiativen rund um das Atommülllager Asse auf einen zügigen Start der Rückholung. Die Pilotphase mit der Bergung der ersten etwa 3000 Atommüllfässer müsse unverzüglich beginnen, erklärte am Montag der Asse-II-Koordinationskreis. Die Rückholung des Mülls sei eine Richtungsentscheidung, zu der es keine Alternative gebe, sagte Sprecher Andreas Riekeberg. Rückfälle in andere Optionen müssten unbedingt verhindert werden.

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