Den Zug nach Opfern durchkämmt

Rechtsradikale Prügelattacke vor Gericht in Rostock – schwere Vorwürfe gegen Polizei

  • Velten Schäfer, Rostock
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor einem Naziaufmarsch im Sommer 2007 kam es zu einer brutalen Attacke auf eher linksorientierte Jugendliche im Bahnhof von Pölchow. Verhandelt wird seit gestern u. a. gegen ein Mitglied des NPD-Landesvorstandes.

Seit zweieinhalb Jahren läuft Pölchow Gefahr, zu einem rechtsradikalen Szenemythos zu werden. Im Bahnhof der Ortschaft im Kreis Doberan kam es am 30. Juni 2007 im Vorfeld eines rechten Marsches in Rostock zu einer brutalen Attacke mehrerer Dutzend rechtsradikaler Jugendlicher auf eine etwas kleinere Gruppe eher linksorientierter junger Leute, die von den Neonazis bis heute gefeiert wird. Sogar T-Shirts mit der Aufschrift »Endstation Pölchow« kann man seither im Land »bewundern«.

Der Slogan ist zynisch, aber passend: Nach Berichten der Opfer, die sich in einer »Prozessgruppe Pölchow« zusammengeschlossen haben, war der Angriff überaus brutal. Die Rechten prügelten mit Fäusten, Füßen, Flaschen, Quarzsand-Handschuhen und Latten, zahlreiche Opfer wurden an den Haaren aus dem Zug gezerrt, mussten Spalier laufen und wurden dann eine Böschung hinuntergestoßen.

Laut Staatsanwaltschaft wurden zunächst einige der Rechten aus dem Zug gedrängt – worauf diese sich mit Zaunlatten bewaffnet und die Waggons nach Opfern förmlich »durchkämmt« hätten. Die flüchtenden Linken seien einer zweiten Gruppe Rechter in die Arme getrieben worden, die auf dem Bahnsteig wartete.

Das Phantom im Vorstand

Zweieinhalb Jahre später könnte Pölchow auch für den 41-jährigen Michael Grewe vorerst »Endstation« werden. In dem Prozess, der gestern in Rostock unter großem Publikumsinteresse und erheblichen Sicherheitsvorkehrungen begann, wird ihm schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzung und »Rädelsführerschaft« vorgeworfen.

Grewe war schon in den Achtzigern in der Lüneburger Nazi-Skin-Szene aktiv. 1997 beschlagnahmte die Polizei bei ihm ein MG mit Munition; um 2000 kam er nach Mecklenburg-Vorpommern, wo er in der NPD aufstieg. 2006 kandidierte er für den Landtag und wurde dann Fraktionsmitarbeiter. Außerdem ist Grewe Beisitzer im NPD-Landesvorstand. Im Land müsste er also bekannt sein – um so peinlicher das Vorgehen der Ermittler. Erst nach einem Jahr suchte die Polizeidirektion Rostock per Foto-Fahndung nach einem mutmaßlich »angereisten Veranstaltungsteilnehmer« – während Grewe die Schweriner Schlosskantine genoss. Erst nach zahlreichen Hinweisen »fanden« die Ermittler den Gesuchten.

Diese Panne passt zu den Vorwürfen, die die »Prozessgruppe« nun erhebt. Die Beamten hätten sich von NPD-Landeschef Udo Pastörs sowie den Landtagsabgeordneten Tino Müller und Stefan Köster beeindrucken lassen, die im Zug gewesen waren. Sie tischten den Beamten eine Notwehr-Version auf. Dabei hätte der Augenschein auf dem Bahnsteig, wo sich mehrere, teils erheblich verletzte »Linke« aufhielten, die Beamten eines besseren belehren können.

Prügelvideos im Internet

Doch die Polizei habe zunächst die Personalien der Opfer aufgenommen. Fast ein Jahr dauerte es, bis die Ermittlungen gegen die Verprügelten aufhörten. Nicht zuletzt deswegen wird »Pölchow« in rechtsradikalen Kreisen bis heute als Erfolg gewertet. Noch unverständlicher ist, dass offenbar weder Videokameras noch Film-Handys beschlagnahmt wurden. Beteiligte Rechtsradikale hatten das Geschehen nämlich gefilmt. Sogar im Internet tauchten später Prügel-Clips auf, in denen Neonazis mit ihren Taten prahlten.

Aus der rechtsradikalen Gruppe konnten insofern nur drei mutmaßliche Täter ermittelt werden – neben Grewe ein 20-Jähriger und ein 25-Jähriger aus Göttingen. Zu Verhandlungsauftakt blieb Grewes Verteidiger, der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski, bei der Notwehr-Version: »Die Kameraden« hätten sich »spontan« gewehrt. Ansonsten schwiegen die Angeklagten. Der Prozess wird fortgesetzt.

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