Das »Abschreckungsmoment«
Anwalt Sven Richwin über die Durchsuchungen in Dresden und Berlin
ND: An den Durchsuchungen vom Dienstag gibt es große Kritik. Der Grüne Abgeordnete Ströbele nannte sie »nicht verhältnismäßig«. Der Staatsanwalt sagt aber: Wir mussten ermitteln. Wie bewerten Sie die Sache juristisch?
Richwin: Sie bezieht sich auf eine Regelung, die nach dem Versammlungsgesetz als Straftat verfolgt wird und das Sprengen oder die Verhinderung einer Versammlung unter Strafe stellt. Im Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes, um den es hier geht, steht, dass man gegen andere Versammlungen nicht gewalttätig vorgehen oder androhen darf, gewalttätig zu werden, oder eine »grobe Störung« vornehmen. Bei einer groben Störung genügt das Androhen hingegen nicht Die Konstruktion »Aufruf zu Straftaten«, die hier benutzt wurde, um die Razzien zu legitimieren, umgeht die ausdrückliche Wertung des Versammlungsgesetzes. Die bloße Androhung einer groben Störung kann nach diesem Gesetz nicht verfolgt werden.
Wie ist das bei Blockaden?
In den vergangenen Jahren haben Blockaden eine sehr starke jurische Aufwertung erfahren. Sie werden als eigenständige Versammlungsform mit symbolischem Gehalt anerkannt und fallen deswegen auch unter den Schutz des Grundgesetzes. Dieser Schutz muss sich also auf sowohl die Anreise als auch die Bewerbung der Aktion erstrecken.
Also waren die Durchsuchungen zumindest rechtlich fragwürdig?
Auf jeden Fall. Ich glaube auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft Dresden damit durchkommt.
Wieso wurden die Durchsuchungen angeordnet, wenn sie auf so wackeligen Beinen stehen?
Ich glaube in konservativen Kreisen in Dresden wurde verstanden, dass die Mobilisierung zu den Protesten gegen die Nazis eine neue Dimension erreicht hat. Über 300 Gruppen und Organisationen rufen dazu auf. Der Sprung, dass sich auch in Dresden selber große gesellschaftliche Kreise mobilisieren lassen, ist geschafft. Die Botschaft ist offenbar, man soll nicht mit den Schmuddelkindern spielen. Wer sich in die Nähe der Proteste begibt, kommt in den Ruch von Straftaten. Das Abschreckungsmoment ist da entscheidend. Aber die Erfahrung zeigt, dass das nicht so funktioniert. Die Razzien vor dem G8-Gipfel 2007 haben eher mobilisierend gewirkt.
Wollen Sie gegen die Maßnahmen klagen?
Es geht jetzt im Beschwerdeverfahren darum, die beschlagnahmten Sachen wiederzubekommen. Das Perfide dabei ist, dass es sich um Mobilisierungsmaterial handelt. Das werden wir vor dem 13. Februar schwer zurückbekommen. Wenn man hinterher Recht bekommt, hilft es einem also wenig.
Was kann mir als Demonstrant passieren, wenn ich mich an einer Blockade beteilige?
Es geht um eine Ordnungswidrigkeit. Solange die Blockade nicht ordnungsgemäß aufgelöst wurde, passiert gar nichts. Wenn aber aufgelöst wurde und man sich nicht entfernt, kann es Strafen geben. In Berlin und Brandenburg wurden Bußgeldbescheide zwischen 70 und 120 Euro verschickt, aber wenn man sich dagegen gewehrt hat, wurden die Verfahren sehr oft eingestellt. Bei Blockaden ist ein häufiges Vorgehen der Polizei, einfach den Weg frei zu räumen. Hinterer gibt es oft Schwierigkeiten herauszufinden, wer sich eigentlich wo befunden hat. Oder es gibt eine Vermischung mit den Leuten, die sich hingesetzt haben, und Leuten, die am Rand standen. Das ist ein praktisches Problem der Polizei. Normalerweise müsste sie jeden einzeln rausnehmen, Personalien feststellen. Dann erst können die ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet werden.
Hat jetzt jeder Laden, in dem der Aufruf liegt, eine Durchsuchung zu befürchten?
Der Durchsuchungsbeschluss, richtet sich gegen zwei Örtlichkeiten, die dafür geworben haben, dass der Aufruf dort abgeholt werden kann. Die eigentliche Ermittlung geht gegen die Verfasser – also gegen unbekannt. Die Staatsanwaltschaft wird kaum Tausende Ermittlungsverfahren einleiten.
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