Die Blockade gegen Gaza muss beendet werden
LINKE-Außenpolitiker Stefan Liebich mit EU-Delegation in Palästina
ND: Sie waren gerade gemeinsam mit einer 50-köpfigen Delegation aus Europa- und nationalen Parlamentariern im Gaza-Streifen. Was war das erklärte Ziel der Reise, was hat Sie zur Teilnahme daran veranlasst?
Liebich: Man wollte sich ein Jahr nach den Reaktionen Israels auf den Beschuss israelischen Territoriums vom Gaza-Streifen aus die Folgen des Krieges anschauen. Ich habe an der Reise teilgenommen, weil unser LINKE-Europaabgeordneter Helmut Scholz, der auch mit dabei war, mich darum gebeten hatte. Aber ich war der einzige Teilnehmer aus dem Deutschen Bundestag, was ich schade fand, weil ich glaube, dass viel mehr Menschen und viel mehr Politikerinnen und Politiker sich ein Bild vor Ort machen sollten.
Die palästinensische Bevölkerung in Gaza leidet seit vielen Jahren unter der israelischen Blockade, besonders nach dem Krieg vor einem Jahr. Welches Bild konnten Sie sich davon machen?
Israels Einsatz hat dazu geführt, dass Krankenhäuser, Schulen, auch der Vereinten Nationen, und das Parlament beschädigt wurden, zum Teil nicht mehr nutzbar sind, viele, viele Privathäuser zerstört wurden, Menschen in Zelten leben müssen. Und es waren viele Opfer zu beklagen.
Welche Konsequenzen sollten sich daraus für die deutsche Bundesregierung und die EU-Politik im Nahen Osten ergeben?
Bundesregierung und EU sollten sich viel stärker als bisher zunächst für ein Ende der Blockade von Gaza einsetzen – egal wie man sich zu der dort agierenden Autorität, der Hamas, verhält. Für uns als LINKE ist sie keine Bündnispartnerin. Aber egal wie man zu ihr steht, man kann nicht ein Volk, wie es gegenwärtig passiert, für ihre Vergehen in Geiselhaft nehmen. Und genau das passiert.
Sie hatten in Gaza Gespräche mit offiziellen Vertretern der Hamas, die ja hierzulande nicht als legitimiert betrachtet wird. Was erwartet die Hamas von der EU, und umgekehrt, haben auch Sie Forderungen an die Hamas formuliert?
Zunächst einmal muss ich sagen, dass wir uns das gut überlegt haben, Helmut Scholz und ich – und auch viele andere Politikerinnen und Politiker beispielsweise von der grünen, der sozialdemokratischen und der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, auch von der FDP und auch Konservative –, ob wir an Gesprächen mit den Offiziellen vor Ort teilnehmen. Ich halte es da mit Hans-Dietrich Genscher, der dazu gesagt hat: »Man kann nicht in Palästina freie Wahlen verlangen, die dann unbestreitbar stattfinden. Und danach sagen, dass wir mit denen nicht verhandeln. Es ist klüger, wenn man mit seinen Gegnern verhandelt.«. Wir erwarten den Verzicht auf Gewalt gegenüber Nachbarländern, und das haben wir den Autoritäten in Gaza auch gesagt.
Betrachten wir mal die andere Seite. Während Sie in Gaza waren, hat am Montag eine gemeinsame deutsch-israelische Kabinettsitzung stattgefunden. Entsprechen die verkündeten Ergebnisse den Erwartungen, die Sie als Außenpolitiker der LINKEN haben?
Das deutsch-israelische Verhältnis ist ein besonderes. Das verstehe ich, und das respektiere ich. Aber wir können keine Situation entstehen lassen, wo sich Israel über das internationale Recht stellt. Und das, was gegenwärtig im Gaza-Streifen passiert, ist gegen das internationale Recht. Ich wünschte mir daher von der Bundesregierung, dass sie dies auch Freunden gegenüber so klar vertritt.
Sollte die Bundesregierung nicht auch die politischen Fakten zur Kenntnis nehmen und darauf dringen, dass die Hamas in reguläre Verhandlungen eingebunden wird?
Die Bundesregierung, der Bundesaußenminister, auch der Entwicklungshilfeminister sollten zunächst einmal dorthinfahren. Es ist richtig, dass es gute Kontakte zu Israel gibt, und ich unterstütze das, aber zu dem Konflikt gehören zwei Seiten.
Ihre Delegation ist von ägyptischer Seite aus nach Gaza eingereist. Nun hat man gehört, dass es bald auch von Ägypten aus eine nahezu komplette Abriegelung geben soll, um den Schmuggel durch Tunnel zu unterbinden. Hatten Sie Gelegenheit, in Ägypten darüber zu sprechen?
Ja, und der ägyptische Parlamentspräsident hat auf sehr nachdrückliche Weise erklärt, dass man nicht Ägypten für etwas angreifen kann, was zuerst Israel zu verantworten hat. Gleichwohl haben wir sehr deutlich gemacht, dass durch die Entscheidung Ägyptens die Lage der Menschen noch schwerer werden wird. Eines ist dreimal zu unterstreichen: Die Aufhebung der Blockade muss der Anfang von allem sein. Und es ist auch Geld erforderlich, Medizin, Baustoffe, insbesondere Zement.
Das heißt, Sie würden befürworten, dass auch von EU-Seite in dieser Frage stärker auf Israel eingewirkt wird, so wie es etwa die vergangene schwedische Ratspräsidentschaft getan hat?
Auf jeden Fall. Es gibt Staaten in Europa, die die Wahl in Palästina, die ja gefordert war, anerkannt haben. Da ist auch gesagt worden, dass man die neu gewählte Mehrheit für legitim hält. Und da wünschte ich mir schon, dass das, was das Europäische Parlament fordert und was auch durch diese große Delegation deutlich gemacht wurde, in der europäischen Politik eine größere Rolle spielt, auch bei der deutschen Seite.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.