Amnestie für Unternehmer
Russland: Appell fordert Freiheit für verurteilte Wirtschaftsbosse
In Russland sitzen derzeit viele Unternehmer wegen Wirtschaftsverbrechen hinter Schloss und Riegel. Ihre freien Kollegen fordern nun mit einer Unterschriftensammlung deren Freilassung – sie sollen Wirtschaft und Arbeitsplätze sichern helfen.
Über hundert Unterschriften standen schon in den ersten Stunden nach der Veröffentlichung unter einem Appell, mit dem eine Gruppe prominenter Unternehmer von der Duma eine umfassende Amnestie »für alle Bürger Russlands« fordert, die »wegen Wirtschaftsvergehen verurteilt wurden oder deswegen in Untersuchungshaft sind«. Die Moskauer Wirtschaftszeitung »Wedomosti«, herausgegeben in Kooperation mit dem Wall Street Journal, unterstützt den Appell und veröffentlichte ihn in ihrer Onlineausgabe.
Die Unterzeichner begründeten das vorgelegte Papier mit »dramatischer Verschlechterung« des Wirtschafts- und Investitionsklimas. Dabei ginge es nicht um Steuern und Kredite, sondern um Repressionen und Verfolgungen. »Buchstäblich jeden Tag«, heißt es in dem Schreiben wörtlich, »gibt es neue Meldungen zu Verhaftungen von Konzernchefs und zu harten Urteilen in Prozessen wegen Wirtschaftsverbrechen. Diese werden oft auf Bestellung verhängt und bringen Unternehmer hinter Schloss und Riegel, die weder dem Staat noch einzelnen Bürgern geschadet haben.«
Hiesige Unternehmer, rügen die Unterzeichner, seien »das größte Opfer der Korruption in den Rechtschutzorganen« und müssten nicht nur um ihr Eigentum, sondern auch um ihre Freiheit, ihr Leben und ihr Land bangen. Denn der Kurs von Präsident Dmitri Medwedjew, der sich wiederholt für die radikale politische und wirtschaftliche Modernisierung Russlands stark gemacht hat, würde »in den Regionen auf erbitterten Widerstand« treffen.
Leidtragende wären vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, denen der Präsident umfassende Unterstützung zusagte. In erster Linie gegen sie richte sich auch die Willkür der Rechtschutz-organe. Modernisierung müsse daher mit einer »Befreiung« beginnen. Die Unterzeichner fordern deshalb von den Abgeordneten noch für dieses Jahr eine umfassende Amnestie für Unternehmer. Dadurch kämen »tausende begabter und initiativreicher Menschen frei, die effiziente Unternehmen führen und Arbeitsplätze schaffen«.
Hiesige Beobachter glauben, die Unterzeichner hätten für ihren Vorstoß – in der jüngsten Geschichte Russlands ohnegleichen – die Rückendeckung des Kremls, möglicherweise sogar die Auflassung Medwedjews. Dieser hatte erst am vergangenen Freitag auf der Tagung des Staatsrates, einem beratenden Gremium, dem die Verwaltungschefs der Regionen und die Führer der Parteien – auch der nicht im Parlament vertretenen – angehören, erste konkrete Schritte für die Reform von Polizei und Ermittlungsorganen angekündigt.
Unmittelbarer Anlass war der jüngste Jahresbericht der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International. Sie kritisiert die gleichen Missstände wie der Appell der Unternehmer. Russland rutschte dadurch auf den letzten Rang innerhalb der Gruppe von Staaten mit überwiegend unfreier Wirtschaft ab. Dazu kommt der Wirbel, den der Tod von Sergej Magnitzki hier und in den westlichen Medien verursachte. Der 36-jährige Justiziar des britischen Investmentfonds Hermitage Capital war Ende letzten Jahres in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung an Herzversagen gestorben. Er war dem Anstaltsarzt zu spät vorgeführt worden. Zuvor hatten die Beamten auch die von seinen Angehörigen abgegebenen Medikamente nicht an ihren Schutzbefohlenen weitergereicht.
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