Demo gegen Polizeikongress
Wider die wachsenden Befugnisse der EU-Polizeibehörden mangelt es an Protest
Die Verabschiedung des Lissabon-Vertrages erweitert die Kompetenzen der Europäischen Union erneut erheblich. Wie die »Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik« (GASP) muss auch die »polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen« (PJZS) zukünftig nicht mehr im Konsens aller Mitgliedstaaten beschlossen werden. Auch das kürzlich verabschiedete »Stockholmer Programm« sieht weitreichende Änderungen vor. Angestrebt wird etwa der Aufbau neuer Datenbanken, die Beschleunigung der vielerorts zu beobachtenden Verschmelzung innerer und äußerer Sicherheit oder mehr Einsatz von Polizeien im Ausland. Die EU will demnächst eine »Strategie der inneren Sicherheit« entwickeln.
Seit 1. Januar 2010 mausert sich Europol zur »Polizeiagentur« und will ein »weltweit herausragendes Zentrum der Weltklasse« werden. Wie alle Verfolgungsbehörden der EU orientiert sich Europol am Prinzip einer »erkenntnisgestützten Strafverfolgung« (»intelligence-led law enforcement«). EU-Polizeien bedienen sich hierfür zunehmend geheimdienstlicher Methoden, darunter der Auswertung ihrer immer besser vernetzten Datenbanken. Europäische Innenminister erkennen einen »Daten-Tsunami« und meinen damit keine Katastrophe, sondern freuen sich auf unentdeckte »potenziell nützliche Informationen«. Die Sicherheitsindustrie entwickelt hierzu zahllose Anwendungen, um die Datensätze per Software automatisiert auf »Risiken« zu scannen. Die EU hatte 2007 unter deutscher Präsidentschaft ein weitreichendes Sicherheitsforschungsprogramm aufgelegt, das bis 2013 weitere technische Lösungen zur Erleichterung von Polizeiarbeit entwickeln soll.
Am 2. und 3. Februar veranstaltet die Verlagsgruppe »Behördenspiegel« den jährlichen »Europäischen Polizeikongress« in Berlin. Themen sind unter anderem die Umsetzung des »Stockholmer Programms« in den Polizeialltag oder was »von den Streitkräften zu lernen« wäre. Der Kongress wird von der Sicherheitsindustrie finanziert, die Sponsoren sind mit eigenen Pavillons vertreten. Marcus Hellenthal, als Vorstandsvorsitzender des Rüstungskonzern Thales gern gesehener Sprecher auf dem Polizeikongress, fordert regelmäßig die Änderung von »rechtlichen Rahmenbedingungen« zum Einsatz neuer Überwachungstechnik. Der industrielle Sektor der »Homeland Defense« boomt trotz Finanzkrise und freut sich laut einer Studie des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts von 2005 bis 2015 über eine Vervierfachung der Investitionen.
Demgegenüber sieht es um eine europäische Bürgerrechtsbewegung wenig rosig aus. Allenfalls in Teilbereichen ist eine grenzüberschreitende Vernetzung erkennbar, etwa die Kampagnen gegen Frontex oder Vorratsdatenspeicherung. Es gibt wenig Kenntnis über die Politik der inneren Sicherheit in der EU, grundlegende Veränderungen der Polizeiarbeit werden nicht thematisiert. Widerstand entsteht oft erst, wenn EU-Richtlinien von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Der Protest zeigt keinerlei Ungehorsam und drückt sich in braven Demonstrationen, Online-Petitionen oder der Anrufung von Verfassungsgerichten aus. Obwohl Staatskritik ein beliebtes Terrain linker Theorie ist, gibt es keine aktuelle Analyse der sicherheitspolitischen Staatswerdung der EU. Stattdessen bleibt Kritik häufig in der Argumentation stecken, die Balance von Freiheit und Sicherheit habe sich zu Ungunsten von Freiheit verschoben.
»Full Spectrum Resistance!« fordert deshalb die Vorbereitungsgruppe der diesjährigen Demonstration gegen den »13. Europäischen Polizeikongress«, die am 2. Februar zum dritten Mal in Berlin stattfindet. »Emanzipatorische Bewegungen können es sich nicht erlauben, die Veränderung der Zusammenarbeit europäischer Verfolgungsbehörden zu verschlafen«, drängen die Organisatoren. Stattdessen sollten mannigfache Möglichkeiten gesucht werden, die »grenzüberschreitende Repression auch über Grenzen hinweg zu beantworten«.
euro-police.noblogs.org
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