So begann der Krieg

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit über acht Jahren ist Deutschland am Krieg in Afghanistan beteiligt. Beschlossen wurde der deutsche Marschbefehl – dem stupiden »Feldzug« der USA gegen den Terrorismus willig folgend – am 16. November 2001. Das Bundestagsprotokoll vermerkte nach der Abstimmung: »Anhaltender Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90 / Die Grünen. Die Abgeordneten von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen erheben sich.«

Man kann es unprotokollarisch anders sagen: Stehende Ovationen für den Kriegseintritt. Und für den sklavischen Gehorsam, dem sich beide Koalitionsfraktionen unterwarfen. Dass CDU/CSU und FDP damals nicht auch kerzengrade applaudierten, hatte seinen Grund allein darin, dass Gerhard Schröder die Abstimmung mit einer Vertrauensfrage für seine rot-grüne Kanzlerschaft verband. Die beiden konservativen Fraktionen bedauerten langatmig, dass sie dadurch am Ja zum deutschen Marschbefehl gehindert wurden.

Kurz darauf konnten sie sich vaterländisch rehabilitieren: Am 22. Dezember 2001 folgte die zweite namentliche Abstimmung mit knapp 93 Prozent Zustimmung des Parlaments für einen Krieg, den der damalige SPD-Militärminister Peter Struck eine »Verteidigung unserer Sicherheit am Hindukusch« nannte. Die Wahrheit verlor ihre letzten Hüllen: Nur die LINKE, die damals noch PDS hieß, blieb Antikriegspartei.

Nun, über acht Jahre später, haben wir eine Bilanz von 35 ums Leben gekommenen deutschen Soldaten und eine unbekannte, mindestens dreistellige Zahl von Afghanen, die von deutschen Soldaten oder auf deren Befehl hin getötet wurden. Grüne und SPD verlangen ein Ende des Afghanistan-Einsatzes. Das Eintrittsdatum ihrer Meinungsänderung korrespondiert mit ihrem jeweiligen Wechsel von der Regierung in die Opposition: Die Grünen denken seit über vier Jahren neu nach, die SPD seit wenigen Monaten. Angeblich ist der Krieg erst ein böser geworden, seitdem sie ihn nicht mehr kommandieren. Aber da beide wieder in eine Regierung wollen, vermeiden sie allzu viel Konsequenz.

Die SPD will für den Abzug einen »Zeitkorridor 2013 bis 2015«. So erwirbt sie sich eine Parole für den Bundestagswahlkampf 2013, die dann richtig forsch klingt, und bekennt doch, dass sie keinen Einwand gegen mindestens drei weitere Jahre Kriegsbeteiligung hat.

Die Grünen fordern von der Regierung, »2010 eine Abzugsperspektive zu beschließen«, lassen also offen, wie lange sie den Krieg noch dulden wollen. Überdies melden sich immer wieder einflussreiche Grünen-Politiker zu Wort, die ihre Partei warnen, in »Fehler der amerikanischen Pazifisten aus der Vorkriegszeit« (Tom Koenigs) zu verfallen. Sie wollen also, dass die Grünen prinzipiell am Kriegführen beteiligt bleiben.

Krieg? Wie die politische Elite haben auch die meisten Medien jahrelang dementiert, dass es sich darum handelt. Sie übernahmen die Floskeln »Friedenseinsatz«, »Schutzmaßnahmen«, »Mission«, »Aufbauhilfe« und andere mehr. Erst seit den Bomben bei Kundus im September mit 140 Opfern konnte niemand mehr leugnen, dass auch deutsche Soldaten in Afghanistan das tun, wozu sie ausgebildet werden: Töten. Das Erschrecken weiter Teile der Öffentlichkeit darüber brachte die Regierung in Argumentationsnot. Jetzt sucht sie neue Argumente, um eine Fortsetzung des Krieges und die Entsendung weiterer Soldaten zu legitimieren. Einige Scharfmacher in den Medien springen ihr dabei mit einer Offenheit zur Seite, die in Deutschland viele Jahrzehnte niemand mehr wagte. Der »Zeit«Herausgeber Josef Joffe schrieb kürzlich: »Aber dem Krieger sein Handwerk verbieten? Um von Talleyrand zu borgen: Das ist schlimmer als absurd; es ist töricht.«

Letztlich geht es bei der heutigen Afghanistan-Debatte im Bundestag jenseits aller taktischen Betrachtungen genau darum: Ob das Parlament der Regierung weiter erlaubt, Kriegführen als Normalzustand deutscher Politik zu behandeln, oder ob es endlich und deutlich für eine Politik eintritt, die Militaristen als »töricht« ansehen: Frieden schaffen ohne Waffen!

Als die Bischöfin Margot Käßmann zur Jahreswende den Afghanistan-Krieg als »so nicht zu rechtfertigen« bezeichnete und »mehr Fantasie für den Frieden« forderte, hielt ihr der Publizist Robert Leicht entgegen, das sei ein simples Denken (ein Vorwurf, den er einem Bischof wohl kaum gemacht hätte). Es täte diesem Land gut, wenn es wieder einfacher wäre, Kriege zu unterlassen, statt sie zu führen.

Merkel schickt mehr Soldaten

Aufstockung soll Abzugsperspektive ermöglichen

Berlin (ND-Heilig). Die Bundesregierung will mit einem Strategiewechsel eine Abzugsperspektive für die deutschen Soldaten in Afghanistan erreichen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag vor der Presse. Sie betonte zugleich, jetzt werde »die Etappe der Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung beginnen«.

Die Vorstellungen, mit denen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei der am Donnerstag stattfindenden Afghanistan-Konferenz in London auftreten wird, verdeutlichen, dass die schwarz-gelbe Koalition – wie die wichtigsten NATO-Verbündeten – weiter von einem möglichen Sieg der westlichen Koalition und der von ihr gestützten Kabuler Regierung ausgeht.

Merkel kündigte an, das Bundeswehr-Kontingent von 4500 auf 5350 Soldaten aufzustocken. Ein Datum für den Beginn des Truppenabzugs nannte die Kanzlerin nicht. Die Mittel für den zivilen Wiederaufbau im nördlichen Verantwortungsbereich sollen im Laufe der Legislaturperiode von 220 Millionen auf 430 Millionen Euro erhöht werden. Die im bilateralen Polizeiausbildungsprogramm eingesetzten 123 Beamten werden um 77 ergänzt. In einen internationalen Fond zur »Wiedereingliederung« von Taliban will Deutschland pro Jahr zehn Millionen Euro einzahlen.

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