Als »Chinese« in Afrika
Tansania – auf dem halben Weg zwischen Iran und der Weltbank
Tansania liegt auf halbem Weg zwischen Iran und der Weltbank. Die Botschaft in Peking zumindest. Wo in letzter Zeit so viel über »Chinesen in Afrika« zu lesen ist, verwundert es, dass die lange Warteschlange gar nicht vor Tansania, sondern vor dem benachbarten Kasachstan steht. Eine Chinesin nur in der Visaabteilung. Es gebe sehr wohl bei den Anträgen eine Steigerung von über 100 Prozent, erzählt sie, die meisten seien aber Geschäftsleute, und die kämen immer nur einmal, deswegen sei gerade keiner da.
Meinem Visumsantrag wird stattgegeben. Bei der Ankunft in Daressalam bin ich angenehm überrascht. Wie wenig fremd Afrika doch wirkt – zumindest wenn man eine Zeitlang in Neukölln gewohnt und eine Cousine in Altona hat. Araber, Inder, Afrikaner, ein paar Chinesen – alles ganz normal. Obwohl ich schon seit fast zehn Jahren in China wohne und in dieser Zeit fast keine Afrikaner mehr gesehen habe. Denn die sind in Peking entweder Studenten, die ihre Uni, oder Diplomaten, die ihren Dienst-Mercedes oder die Bar im Botschaftsviertel kaum verlassen.
Weiße kommen hauptsächlich nach Tansania, um 50 Minuten lang verzückt auf einen reglos im Gras liegenden Löwen zu starren. Obwohl sich so ein Löwe im Zoo aus einem Zehntel der Entfernung und ohne Autofenster dazwischen viel besser beobachten ließe. Sobald sich der Löwe auch nur ein bisschen so rührt, als wolle er sich erheben, verknipsen sie 60 Megabyte. Um die auf diese Weise vergeudete Zeit wieder reinzuholen, rasen sie auf der Rückfahrt vom Nationalpark in die Stadt mit 90 Stundenkilometern über die geschotterten Pisten und scheuchen hupend die ihre chinesischen Fahrräder bergauf (keine Gangschaltung) oder bergab (schlechte Bremsen) schiebenden Tansanier in die Gräben links oder rechts. Sie vermindern nicht einmal die Geschwindigkeit, wenn Gruppen fröhlich winkender Kinder auf der Straße stehen oder diese mit Wassereimer oder Brennholz auf dem Kopf balancierend überqueren.
Die Weißen im Land benutzen ihr Auto aber nicht nur dazu, kleinen Kindern Schottersteine in die Augen zu schießen. Sie benutzen es auch zur Kommunikation. Wenn sich zwei Weiße treffen, reden sie unweigerlich und ausschließlich über ihre Autos oder damit verbundene Themen: Welche Straße in welchem Zustand ist. Wie viele Fahrer dort stecken geblieben sind. Wie man sich selbst mit der Winde aus dem Matschloch geholt hat. Welcher der gerade im Blickfeld stehenden Bäume dazu geeignet wäre, so eine Winde daran zu befestigen. In welchem Dorf man sich seinen Auspuff hat schweißen lassen ... So geht es die ganze Zeit.
Andererseits ist es vielleicht auch besser so, denn wenn die Weißen nicht von ihrem Auto sprechen, erzählen sie Horrorgeschichten: vom Brand eines Appartmenthauses, dessen weißer Bewohner aus rassistischen Gründen nicht informiert wurde; wo man keinesfalls hin-, Essen oder Einkaufen gehen dürfe, weil einem das Telefon geklaut werde, und dass einem die Massai, sollte man sie auch nur fotografieren wollen, mit dem Speer die Reifen durchbohren. Womit sie wieder beim Auto wären.
Das Auto hat für die Weißen wahrscheinlich deshalb einen so hohen Stellenwert, weil sie sich damit von einem bewachten Grundstück zum nächsten bewegen können – ohne Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Oder zumindest zu dem Teil der einheimischen Bevölkerung, der nicht von ihnen selbst angestellt ist und deshalb nicht als bedrohlich empfunden wird. Das Auto bietet also (Bewegungs-) Freiheit wie auch Sicherheit. Obwohl ich mich, glaube ich, ohne einen groß gewachsenen Massai, der mit einem langen Messer die ganze Nacht für umgerechnet zwei Euro um Haus und Garage schleicht, sicherer fühlen würde.
Autofahrer, die Fahrradfahrer verdrängen, Villen, die bewacht werden »müssen« – genau wie in China. Auch der »afrikanische Sozialismus« – der Versuch, das Land von den Dörfern her zu entwickeln – scheint gescheitert. So ist an die Stelle des Swahili-Worts »ujamaa«, das »Gemeinschaftlichkeit« bedeutet, das Wort »harambe« getreten. Ursprünglich in Kenia verwendet, wo es etwa »lasst uns die Kräfte bündeln« hieß, steht es jetzt dafür, was im Neu-Deutschen als »Fundraising« bezeichnet wird: Geld sammeln. Alle sammeln mit: die Regierung, die Schulen, die Krankenhäuser und nicht zuletzt die Kirchen. Eine Halbzeit des Gottesdienstes lang wird gespendet, und danach werden auch die Sachspenden noch versteigert.
Privatpersonen »sammeln« ebenfalls. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Am 1. Dezember – dem Weltaidstag – sollte ein Krankenhaus im südtansanischen Hochland nach der Veranstaltung die Holzplanken der Rednertribüne als Spende bekommen. Die Chefärztin besah sich den Stapel. »Leider haben wir kein Geld für den Transport«, erklärte ihr einer der Organisatoren bedauernd. Als sie anmerkte, es seien doch nur 400 Meter und wenn jeder ein paar Mal liefe, wären alle in einer halben Stunde zu Hause, wurde sie beschieden: »Die Zeiten Nyereres sind vorbei.« Ein anderer spielte ebenfalls auf den ersten Staatspräsidenten, den katholischen Sozialisten Julius Nyerere, an: »Nyerere ist schon lange beerdigt, stell keine Ansprüche an mich, die von gestern sind.«
So etwas ist natürlich ärgerlich – aber es ist mir nicht passiert. Über die Tansanier hätte ich mich höchstens bei der Abreise ärgern können. War doch im Souvenirladen des Internationalen Julius-Nyerere-Flughafens das einzige Buch, das im Schaufenster lag, nicht etwa eine Auswahl der Schriften Nyereres oder wenigstes eine seiner Shakespeare-Übersetzungen ins Swahili, sondern »Die weiße Massai« der Sextouristin Corinne Hofmann – das Buch, für das man sich als Weißer in Ostafrika wirklich schämen muss. Andererseits gab es das Buch nicht in der Landessprache und es spielt auch nicht in Tansania, sondern in Kenia. Daher war auch das wieder nur befremdlich und nicht ärgerlich.
Übrigens liegt Tansania wirklich auf halbem Weg zwischen Iran und der Weltbank. Der stärker werdende muslimische Bevölkerungsteil fordert den Beitritt Tansanias zur Organisation Islamischer Staaten und die Einführung der Scharia; und der »budget support«, die Haushaltshilfe, für die tansanische Regierung entspricht 12 Prozent ihres Haushalts. Die von Geberorganisationen insgesamt geleistete Hilfe beträgt sogar weit über 40 Prozent der Staatsausgaben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.