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Kommt das Grundeinkommen?
FIAN-Aktivist Clóvis Zimmermann über Sozialleistungen in Brasilien / Clóvis Zimmermann ist Grundeinkommensexperte der Menschenrechtsorganisation FIAN
ND: Beim Thema Grundeinkommen in Brasilien ist immer die Rede von »bolsa familia«. Was ist das?
Zimmermann: »Bolsa familia«, Familienstipendium, ist ein Mindesteinkommensprogramm in Brasilien, bei dem Bedürftige staatliche Leistungen erhalten. Es existiert seit 2003. Dabei findet ein Auswahlverfahren mit Bedürftigkeitsprüfungen statt. Aus Sicht der Menschenrechte ergeben sich viele Probleme.
Welche?
Das sind der Deckungsgrad, der Rechtsanspruch, die Bedingungen und die Höhe. So gibt es in Brasilien 15,6 Millionen Arme, aber nur 12,5 Millionen erhalten Leistungen. Der Anspruch ist nicht einklagbar. Eine Bedingung ist zum Beispiel der verpflichtende Schulbesuch der Kinder. Aber es beschweren sich Lehrer, dass gezwungene Kinder keine Motivation mitbringen. Die Leistungen sind zudem zu niedrig. So liegt der Höchstsatz bei 140 Reais, also ungefähr 50 Euro pro Person und Monat. Der Mindestlohn beträgt 510 Reais. Von »bolsa familia« können die Menschen nicht leben.
Dann hat diese staatliche Leistung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, das individuell, existenzsichernd, ohne Arbeitszwang und Bedürftigkeitsprüfung sein soll, also nichts zu tun?
Ja, diese Kriterien erfüllt »bolsa familia« nicht. Grundeinkommen würde ein Paradigmenwechsel sein. »Bolsa familia« soll der Übergang zum bedingungslosen Grundeinkommen sein. In Brasilien arbeiten 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung im informellen Sektor, da ist kaum festzustellen, wer bedürftig ist und wer nicht. Deswegen lieber gleich ein Grundeinkommen.
Die Grundeinkommenskriterien sind in Brasilien aber anerkannt?
Nicht alle akzeptieren das Kriterium »existenzsichernd«, beispielsweise auch unser Grundeinkommens-Medienstar Senator Eduardo Suplicy.
Apropos Suplicy, was ist mit dem Grundeinkommensgesetz aus dem Jahre 2004?
Senator Suplicy hat dieses Gesetz eingebracht und Präsident Lula da Silva hat es unterzeichnet. Es ermächtigt den Präsidenten, ein Grundeinkommen einzuführen, allerdings ist es noch nicht umgesetzt. In Brasilien sind viele Gesetze sehr allgemeine Absichten, an der Umsetzung mangelt es oftmals.
Wer sind die größten Gegner des Grundeinkommens in Brasilien?
Sowohl bei den Linken als auch bei den Konservativen gibt es Gegner. Auch viele Medien sind dagegen. Oftmals werden Entweder-oder-Argumente angeführt, was zeigt, dass die Kenntnisse über das Grundeinkommen nicht ausreichend vorhanden sind. Die Linken zum Beispiel sind eher für Investitionen in die solidarische Ökonomie oder die kooperative Wirtschaft – also Formen des Wirtschaftens, die sich nicht primär am Erzielen von Gewinnen, sondern an sozialen, demokratischen und ökologischen Zielsetzungen orientieren. Dabei schließen sich diese Wirtschaftsformen und das Grundeinkommen überhaupt nicht aus.
Suplicy ist sehr optimistisch bezüglich einer baldigen Einführung des Grundeinkommens. Sie auch?
So optimistisch wie Suplicy, der sagt, das Grundeinkommen kommt in ein paar Jahren, bin ich nicht. Aber optimistisch bin ich auf jeden Fall. Lula will »bolsa familia« weiter ausdehnen und dann vielleicht in zehn Jahren das Grundeinkommen erreicht haben. Er wird übrigens voraussichtlich das nächste internationale Treffen des Grundeinkommensnetzwerks, das in diesem Jahr in São Paulo stattfindet, eröffnen.
Fragen: Robert Krüger-Kassissa
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