Schwerindustrie des Geistes

Logik in der DDR – ein stolzes Kapitel Wissenschaftsgeschichte

  • Dieter Wittich
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass in der DDR sich laut Buchtitel eine so althergebrachte Wissenschaft wie die Logik »im Aufbruch« befunden haben soll, wird vermutlich professionellen Gegnern des vor zwei Jahrzehnten ausgelöschten Staates kaum genehm sein. Ihnen lägen da Vokabeln wie »Niedergang« oder sogar »Zerstörung« weit näher. Aber es war noch »schlimmer«: Die Logik als Wissenschaft war in der DDR nicht allein an mathematischen Einrichtungen, sondern auch an solchen der gewöhnlich übel beleumdeten marxistisch-leninistischen Philosophie beheimatet.

Der Leipziger Wissenschaftler Lothar Kreiser kann darüber gründlich informieren, weil er sich auf umfangreiche Archivstudien sowie auf Aussagen oder Zuarbeiten zahlreicher Zeitzeugen und Akteure stützt. Die Zuwendung zu einzelnen Personen geschieht dabei bisweilen so extensiv, dass dies mich an meine Kindheit erinnert: Damals fanden sich in nahezu allen »guten Stuben« meines (über Jahrhunderte kurhessischen, seit Juli 1944 aber zu Thüringen gehörenden) Heimatdorfes im damaligen Kreis Schmalkalden Bildtafeln, die dem Besucher kundtaten: Der Wohnungsinhaber Wilhelm, Fritz oder Louis Soundso habe mit großem und natürlich stets vorbildlichem persönlichem Einsatz seiner Militärpflicht in dem und dem Regiment in Kassel, Marburg oder Fritzlar genügt. Nun aber gelte auch für ihn die ersehnte Losung »Reserve hat Ruh'«.

Der Autor forscht seit vielen Jahren zur Geschichte seines Fachgebietes, insbesondere auch zu jener, die mit einem der wichtigsten Pioniere der modernen Logik verbunden ist, mit dem Jenenser Gelehrten Gottlob Frege (1848-1925). Dessen wissenschaftliche Bedeutung war lange Zeit und keineswegs nur in Ostdeutschland ungenügend gewürdigt worden. Um die in der DDR betriebene Logik und deren Gestalter vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren, legte Kreiser nun diese Studie vor.

Freilich konnte er nicht alles erfassen, sein vornehmliches Interesse gilt den philosophischen und anderen sozialwissenschaftlichen Einrichtungen. Die an mathematischen Instituten, besonders der Berliner Humboldt-Universität und der Ernst Moritz Arndt-Universität in Greifswald, betriebene Lehre und Forschung zur Logik wird weniger detailliert bedacht. Was an philosophischen Einrichtungen außerhalb Leipzigs erarbeitet oder gelehrt wurde, hätte man sich allerdings auführlicher gewünscht. Das gilt auch für Horst Wessel und dessen sehr regen Arbeitskreis an der Humboldt-Universität. Es bereitet Genugtuung, dass Kreiser in seinem Buch auch jene nicht vergessen hat, die in der DDR halfen, erste Schneisen in ein Gestrüpp von Missdeutung und Ablehnung der Logik zu schlagen. Die ersten Schüler von Georg Klaus, Egon Krüger und Karl Söder, werden ebenso beachtet wie der frühe Logik-Historiker Franz Schmidt. Natürlich wird auch der später wohl erfolgreichste Propagandist des Logik-Verständnisses von Klaus, nämlich Wolfgang Segeth, gebührend gewürdigt. Dessen Einführung in die logische Wissenschaft brachte es in der DDR immerhin auf acht Auflagen.

Für erfreulich halte ich auch, dass Franz Löser, der 1983 (und nicht bereits 1981, wie es im Buch heißt) die DDR verließ, eine angemessene Beurteilung erfährt. Er wird nicht wegen seiner in der Tat recht lückenhaften und oftmals wenig korrekten Logikkenntnisse belächelt. Vielmehr wird er als ein Wissenschaftler vorgestellt, der in der DDR Gebiete logisch zu erschließen suchte, für die zuvor kaum jemand in diesem Land einen entsprechenden Aspekt auch nur vermutet hätte: Moralurteile und die Beziehungen zwischen Fragen und Antworten etwa. Löser war zugleich derjenige unter den Logikinteressierten in der DDR, der unter dem Faschismus wohl am stärksten gelitten hatte. Seine Eltern fielen dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer. Löser selbst kämpfte in der britischen Armee in Afrika gegen den Faschismus, der dort in Gestalt des Korps von Erwin Rommel sein Unwesen trieb.

Lothar Kreiser gebührt Dank für diese sachkundige Darstellung eines Kapitels DDR-Geschichte.

Lothar Kreiser: Logik und Logiker in der DDR. Eine Wissenschaft im Aufbruch. Leipziger Universitätsverlag. 479 S., geb., 44 €.

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