Streitfrage: Sollte ein Teil der Berliner S-Bahn neu ausgeschrieben werden?

Es debattieren Christian Gaebler und Klaus-Dieter Hommel

  • Lesedauer: 9 Min.
Seit Mitte des vergangenen Jahres ist der S-Bahn-Verkehr in Berlin eingeschränkt. Das Eisenbahn-Bundesamt hat schwere Sicherheitsmängel an Radachsen der Züge bemängelt. Außerdem wurden die Zugbremsen beanstandet. Zeitweilig wurde der S-Bahn-Verkehr auf ganzen Strecken eingestellt. Überfüllte U-Bahnen, massenweise Autos auf den Straßen und schlecht gelaunte Passagiere waren die Folge.

Weiter Druck auf die Deutsche Bahn ausüben

Von Christian Gaebler

Die Berliner S-Bahn ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Öffentlichen Personennahverkehrs der Hauptstadt. Sie steht für ein modernes Stadtverkehrssystem, das die Mobilität in Berlin sichert.

Seit mehr als einem Jahr ist kein dauerhaft zuverlässiger Betrieb bei der Berliner S-Bahn realisiert worden. Weniger als die Hälfte der benötigten Fahrzeuge ist einsatzfähig, das Eisenbahnbundesamt hat die Betriebsgenehmigung für die S-Bahn nur für ein Jahr erteilt. Die Deutsche Bahn AG hat hier als Betreiber auf ganzer Linie versagt.

Dieses Debakel ist nicht das Ergebnis höherer Gewalt oder einer Verschwörung der Fahrzeughersteller, wie uns die Bahnvorstände seit Monaten glauben machen wollen. Die Probleme der Berliner S-Bahn sind hausgemacht, die Deutsche Bahn hat versucht, aus der systembedingten Monopolstellung der S-Bahn in Berlin Kapital zu schlagen und hohe Summen für den geplanten Börsengang an den Konzern abgeführt. Die Berliner S-Bahn wurde finanziell wie eine Zitrone ausgepresst, Achsen und Bremsen wurden auf Verschleiß gefahren. So etwas darf sich nicht wiederholen.

Die SPD will einen stärkeren Einfluss des Landes Berlin bei der Sicherung der Daseinsvorsorge auch im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) der Hauptstadt sicherstellen. Es gibt mehrere Optionen, einen stärkeren Einfluss auf die S-Bahn zu nehmen. Eine Möglichkeit ist die Übernahme der S-Bahn Berlin GmbH in das Eigentum des Landes Berlin.

Alternativ kann der Betrieb der S-Bahn-Strecken ganz oder teilweise an andere Unternehmen vergeben werden. In Direktvergabe könnte der Betriebs eines Teils des S-Bahn-Netzes an eine Tochtergesellschaft der BVG gehen, mit der Möglichkeit, abhängig von der Verfügbarkeit weiterer Fahrzeuge den Anteil am Netz schrittweise zu erhöhen. Bei einer Ausschreibung von Teilen des S-Bahn-Netzes wäre eine Beteiligung der BVG nicht möglich, hier können andere Bahnunternehmen oder auch die Deutsche Bahn zum Zuge kommen.

In der SPD gibt es durchaus Sympathien für eine Direktvergabe an eine BVG-Tochter. Die Kosten für die notwendige Fahrzeugbeschaffung würde übrigens aus den Bestellgeldern des Verkehrsvertrages finanziert, also die BVG nicht dauerhaft zusätzlich belasten. Das kommunale Unternehmen hat bessere Kreditkonditionen und muss zudem keine Gewinnerwartungen mit einkalkulieren. Daher wäre dies für das Land Berlin sicher die kostengünstigste Variante, die letztendlich mehr Geld für tatsächliche S-Bahn-Fahrten bereitstellt.

Wir wollen aber auch andere Optionen ermöglichen, um den Druck auf die Deutsche Bahn aufrechtzuerhalten, zügig wieder eine gute Leistung im S-Bahn-Verkehr zu erbringen. Deshalb wird auch die offene Ausschreibung eines Teilnetzes vorbereitet. Die jetzt erfolgte Ankündigung im Amtsblatt bedeutet aber nicht zwingend, dass es wirklich zu einer Ausschreibung kommt.

Als Argument gegen eine Ausschreibung wird oft die Gefahr des Lohndumpings genannt. Die SPD will keinen Wettbewerb zu Lasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher werden wir bei allen Schritten darauf achten, dass auch die Interessen der Beschäftigten der S-Bahn Berlin gewahrt werden. Wir wollen sichere und leistungsgerecht bezahlte Arbeitsplätze im Berliner Nahverkehr. Das Lohnniveau und die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen daher in allen Varianten gesichert werden. Dies ist mit der aktuellen EU-Verordnung 1370/07 auch möglich und wird in skandinavischen Ländern, in denen schon länger entsprechende gesetzliche Regelungen bestehen, seit Jahren erfolgreich praktiziert. Der Auftraggeber hat danach auch die Möglichkeit, einen Betriebsübergang für die Beschäftigten mit den aktuellen Konditionen der Arbeitsverträge vorzuscheiben.

Von der Bahn AG und den Bahngewerkschaften wird die Aufteilung der Betriebs oft als Zerschlagung des Netzes dargestellt. Dagegen stehen andere gute Beispiele für einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen in einem Netz. So werden beim S-Bahn-System RER in Paris einige Linien von der staatlichen Bahngesellschaft SNCF, einige ganz oder teilweise vom kommunalen Verkehrsunternehmen RATP betrieben, ohne dass das Auswirkungen für die Fahrgäste hat. Entscheidend ist hier eine gute Koordination und eine Festlegung einheitlicher Standards durch den Besteller. Vorteil mehrerer Anbieter im S-Bahn-Netz ist ein stärkerer Druck, gute Leistungen zu erbringen. Zudem hätten Probleme eines Betreibers nicht zwingend Auswirkungen auf das gesamte Netz, zudem könnte mit Fahrzeugen der anderen Betreiber eine Entlastung erfolgen.

Das starre Festhalten am integrierten Konzern bei der Bahn und die Instrumentalisierung durch die Privatisierer an der Bahnspitze haben das S-Bahn-Desaster in der Form erst möglich gemacht. Es gibt keine Transparenz für die Abführung von Geldern der S-Bahn an andere Konzerntöchter, sie werden größtenteils willkürlich festgelegt. Hier muss es unabhängig von der Entscheidung über den zukünftigen Betreiber der S-Bahn endlich ein überprüfbares System geben, wie Trassenentgelte, Regionalzuschläge, Stationsgebühren sowie Strafgelder bei Qualitätsmängeln im Netz festgelegt und kontrolliert werden können.

Wichtigstes Kriterium bleibt daher die Frage der Sicherung einer hohen Qualität und Zuverlässigkeit im Berliner S-Bahn-Verkehr. Dabei spielt die Zuverlässigkeit der Betreiber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre eine entscheidende Rolle.

Christian Gaebler, Jahrgang 1964, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit 1999 ist er verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Christian Gaebler ist Mitglied des Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr und in der DGB-Gewerkschaft TRANSNET organisiert.

Als Dankeschön einen Tritt in den Hintern

Von Klaus-Dieter Hommel

Wer wollte es dem Berliner Senat verdenken, den Betrieb der S-Bahn in andere Hände als die der Deutschen Bahn (DB) AG zu legen? Nach all den Pannen der vergangenen Monate ist irgendwann der Punkt gekommen, wo die politisch Verantwortlichen sagen: Es reicht. Nachvollziehbar wäre das – wenn redliche Gründe hinter einer solchen Entscheidung stehen würden. Dies aber wird von der Verkehrsgewerkschaft GDBA bezweifelt.

Geht es dem Berliner Senat wirklich darum, ein störungsfrei funktionierendes Nahverkehrssystem zu gewährleisten? Oder wird jetzt nicht die Chance beim Schopf ergriffen, dem ungeliebten Vertragspartner Deutsche Bahn endlich mal zu zeigen, »was eine Harke« ist? Ein Teil des Netzes wird europaweit ausgeschrieben; da sollte sich wohl einer finden lassen, der auch S-Bahn in Berlin fahren kann – vielleicht sogar besser und hoffentlich auch billiger.

Wettbewerb ist gut, wenn er zum Ziel hat, den Besten zu finden. Für den Nahverkehr gilt das allerdings nicht. Da erhält meist der den Zuschlag, der das billigste Angebot abgibt. Und das ist mit Sicherheit nicht das Beste. Insofern muss die Frage erlaubt sein, ob der Weg, den der Senat jetzt beschreitet, den Bürgern künftig wirklich bessere Leistungen bietet, als es diese von ihrer S-Bahn-Berlin unter der Regie der DB AG gewohnt waren – bevor die Pannenserie begann. Mit Sicherheit nicht!

Nach den Erfahrungen, die die Verkehrsgewerkschaft GDBA machen musste, hat der viel beschworene Wettbewerb meist alles nur noch schlechter gemacht. Denn von den Auftraggebern werden bei einer Ausschreibung keine Sozial- und Qualitätsstandards vorgegeben, niemand definiert, welchen Grad an Sicherheit der neue Betreiber den Fahrgästen garantieren muss – es wird nur darauf geschaut, Leistungen möglichst billiger als bisher einzukaufen.

Die Bürger, als Nutzer der S-Bahn, haben davon in der Regel nichts. Sie erhalten keinen Cent der eingesparten Millionen. Soll keiner glauben, dass anschließend die Fahrkarten billiger würden. Nein, das Geld streicht der Senat ein, quasi als Prämie für sein vermeintliches Verhandlungsgeschick. Und das sollen wir dann auch noch toll finden? Nein danke!

Die Deutsche Bahn hat über viele Jahre hinweg bewiesen, dass sie die S-Bahn Berlin zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten betreiben kann. Zu verdanken hat sie dies in erster Linie ihren Mitarbeitern, die stets dafür gesorgt haben, »dass der Laden läuft«. Auch in den vergangenen Wochen und Monaten haben die Kolleginnen und Kollegen fast Übermenschliches geleistet, um Ausfälle, wo immer sie auftraten, so schnell wie möglich zu kompensieren. Als Dankeschön sollen sie nun einen Tritt in den Hintern erhalten: »Toll, dass ihr euch so engagiert habt, aber das war vergebens – wir wollen euch nicht mehr.«

Wieder einmal sollen die Beschäftigten für Fehler des Managements die Zeche zahlen. Dass eine von Sozialdemokraten angeführte Koalition in dieser Frage eine solche soziale Kälte zeigt, ist mehr als empörend.

Natürlich kann der Senat für sein gutes Geld eine gute Leistung erwarten. Mängel, wie sie jetzt zu Tage getreten sind, muss niemand hinnehmen. Doch bevor Entscheidungen aus der Hüfte getroffen werden, die Arbeitsplätze kosten, sollten die politisch Verantwortlichen einmal innehalten und dem so gern praktizierten populistischen Getöse abschwören. In aller Ruhe gilt es zu klären, warum die S-Bahn Berlin derzeit nicht aus den Schlagzeilen kommt:

Wo sind Fehler gemacht worden und wie lassen sich diese künftig vermeiden? Wurde zu viel und an den falschen Stellen gespart? Hat möglicherweise auch schadhaftes Material der Zulieferer dazu beigetragen, dass es zu Zugausfällen gekommen ist? Wer trägt dafür die Verantwortung? Und wie kann der entstandene Schaden wieder gut gemacht werden? Das sind Fragen, die ohne ideologische Scheuklappen geklärt werden müssen, um wieder einen reibungslosen Betrieb garantieren zu können. Ursachenforschung ist angesagt, keine politischen Schnellschüsse.

Natürlich muss das S-Bahn-Desaster Konsequenzen haben. Eine ist für die Verkehrsgewerkschaft GDBA ganz klar: Das Management muss wieder mehr auf die Einschätzungen und Erfahrung der Mitarbeiter bauen. Die wissen nämlich, wie S-Bahn funktioniert. Aber deren Meinung war in der Vergangenheit immer weniger gefragt. Warum eigentlich?

Sollte der Berliner Senat die S-Bahn tatsächlich zerschlagen, müsste die DB AG lediglich auf einen Teil ihrer Einnahmen verzichten. Das trübt die Bilanz, mehr aber auch nicht. Für die Kolleginnen und Kollegen jedoch hätte dies bittere Folgen: Sozialdumping und Arbeitsplatzverlust! Denn noch immer weigern sich die kommunalen Auftraggeber, einer Forderung der Verkehrsgewerkschaft GDBA nachzukommen und europäische Gesetzgebung anzuwenden. Die erlaubt es nämlich, den neuen Betreiber zu verpflichten, die Mitarbeiter zu den gleichen Konditionen wie bisher weiterzubeschäftigten. Das aber wird nicht der Fall sein.

Stattdessen drohen Rationalisierungen und Lohndrückerei – wie immer. Ist es das, was die Berliner wollen? Sicher nicht. Die Mitarbeiter der Deutschen Bahn haben eine zweite Chance verdient. Eine Ausschreibung aus Trotz und zu Lasten der Beschäftigten lehnt die Verkehrsgewerkschaft GDBA entschieden ab. Der Berliner Senat muss seiner Verantwortung gerecht werden, ebenso wie die DB AG. Zumal der neue Betreiber frühestens 2017 zum Zuge käme. Das aber hilft den Berlinern im Augenblick überhaupt nicht weiter.

Klaus-Dieter Hommel, 1957 geboren, ist Vorsitzender der Vehrkehrsgewerkschaft GDBA, die u. a. die Beschäftigten der Deutschen Bahn vertritt. Er war von 1978 bis 1990 bei der Deutschen Reichsbahn tätig. Klaus-Dieter Hommel ist auch Mitglied im Bundesvorstand des dbb beamtenbund und tarifunion.


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