Vor der Kreidemahlzeit
Werden die Rechtsradikalen »bürgerlich«? Und was würde daraus folgen?
Vor ein paar Jahren kam ein Freund von Wiktor Marszalek abends aus einer Bar in seiner polnischen Heimatstadt. Er wurde erwartet: Rechtsradikale pöbelten den jungen Mann an, wollten einen »Widerruf« seiner politischen Ansichten. Es endete tragisch: Marszaleks Freund verblutete an Wunden, die ihm jemand mit einem Flaschenhals zugefügt hatte. Die polnische Justiz aber sah eine »Prügelei unter Jugendcliquen«.
Marszalek hat das noch angespornt. Der junge Mann, beruflich Personalmanager, redigiert die Zeitschrift »Nigdy wiecej« (Nie Wieder), die seit 1992 die radikale Rechte Polens beobachtet. Seine Fotos lösen Raunen aus im »Landhof Arche«: Glatzköpfe mit Hakenkreuzen – wie aus dem Katalog.
Archaische Bilder
Die polnischen Anhänger des Skinhead-Netzes »Blood & Honour« benutzen sogar ein Hitler-Porträt, unterlegt mit dem polnischen Staatswappen und einer nationalfarbenen Banderole. Mehrfach fragen Teilnehmer der Tagung über deutschen und polnischen Rechtsextremismus, die das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) veranstaltet hatte, wie das sein kann: polnische Nationalisten mit Hitlerbild? Marszalek weiß es auch nicht. Achselzuckend zeigt er ein weiteres Poster, mit dem eine rechtsradikale Gruppe den Großpolnischen Aufstand von 1919 feiert. Das Heroen-Poster erweist sich ausgerechnet als Adaption eines SS-Plakats.
Diese Bilder lassen selbst Jörg Schäfers Mund offenstehen. Dabei hat der Leiter der auf »extremistische« Gewalt spezialisierten Polizeieinheit MEGA im »Schutzbereich Potsdam« schon genug Devotionalien gesehen. Vor dem Podium hat er einen Tisch aufgebaut, auf dem von Hakenkreuz bis Weltkriegsorden liegt, was das rechte Herz begehrt. In Deutschland werden solche Gegenstände, die öffentlich zu zeigen oft strafbar ist, inzwischen fast nur noch privat sichergestellt. »Meine Güte«, murmelt Schäfer, als Marszalek die Fankurve des Erstligaklubs Lechia Gdansk an die Wand wirft und die halbe Tribüne den Hitlergruß zeigt, »bei uns wäre sowas eine Riesenkatastrophe.«
Im Vergleich zur Bundesrepublik, das kann man als Tagungsresultat festhalten, zeigt der Rechtsradikalismus in Polen noch sein archaisches Gesicht. In der Bundesrepublik, so die These, sei das vorbei. »Die werden immer intellektueller«, sagt etwa einer aus dem Publikum, der sich als Streetworker vorstellt. Auch Polizist Schäfer berichtet, dass die Rechtsradikalen immer unauffälliger arbeiten. Einschlägige Proberäume etwa seien kaum noch zu finden.
Winfriede Schreiber vom brandenburgischen Verfassungsschutz sieht die Rechtsradikalen im Land dagegen generell auf dem Rückzug: NPD und DVU hätten sich aufgerieben, die Zivilgesellschaft werde stärker und widersetze sich frühzeitig; Ereignisse wie jüngst in Zossen, wo ein junger Neonazi das »Haus der Demokratie« angezündet hatte, seien Ausnahmen. Der Trend gehe in Richtung lokaler Verankerung. Taktiken und Gesicht etwa der NPD allerdings seien sehr flexibel. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise sei die Partei »sehr nazifiziert«.
»Radikal« oder »extrem«?
Schon auf mittlere Sicht liegt der Erfolg jedoch in der Mitte, sagt Britta Schellenberg von der Uni München. Sie hat ein Programm über die radikale Rechte und Gegenstrategien in elf europäischen Staaten koordiniert, und generell »wächst der Erfolg mit einer weicheren Rhetorik«. Ob sich freilich die NPD zum Kreideverzehr bereitfinde, müsse sich noch zeigen.
Wie aber müssten sich die Programme gegen Rechts aufstellen, schlüge eine solche Entwicklung auch in der Bundesrepublik durch? Das ist die offene Frage von Groß Pinnow. Noch scheinen Anti-Nazi-Projekte primär auf Straßengewalt und Subkultur abzustellen; Jan Buschbom vom »Violence Prevention Network« etwa sieht die Szene nicht in der »Mitte der Gesellschaft« verankert, sondern als wütenden »Angriff« auf diese – individual-psychologisch zu bearbeiten. Modernen Rechtsbewegungen nach Art der niederländischen Anti-Koran-Partei des Geert Wilders wäre so kaum zu begegnen. Um solche Bewegungen erfassen zu können, schlägt Schellenberg einen weiter gefassten Begriff von »Rechtsradikalismus« vor, der z. B. auch christlich-fundamentalistische Kräfte umfassen würde.
Weitergedacht werden konnte dieser Ansatz in Groß Pinnow aber nicht: Als Referent über die »intellektuelle« Rechte war Uwe Backes eingeladen, ein entschiedener Vertreter des engen, aus der Totalitarismustheorie entwickelten Extremismus-Kampfbegriffs. Nimmt man diesen ernst, dann wird zwischen den Neonazis und ihren real existierenden Gegnern auf dem Lande in der Regel ein Gleichheitszeichen gesetzt.
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