Ma a salama und Danke, Zidan!

Auch Ägypten beweist es wieder einmal: Reisen kann Urteile wie Vorurteile korrigieren

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 5 Min.
Reisen ist geeignet, Urteile wie Vorurteile zu korrigieren. Was durchaus nicht heißt, dass das, was einem eine Situation da in der Fremde schlagartig erhellt, auch tatsächlich der Weisheit letzter Schluss gewesen sein muss. Gegen neuerliche vorschnelle Urteile oder Vorurteile hilft übrigens nur eins: weiter(hin) zu reisen.
Per Quad in die Berge
Per Quad in die Berge

Wir sind vom kleinen ägyptischen Küstenort Masa Alam am Roten Meer in die Östliche Wüste gestartet. Zu einem Tagesausflug in die horizontnahen Berge. Nicht auf Kamelrücken, sondern ganz modern – und inzwischen durchaus zünftig – auf jeweils vier Rädern. Von quadri (lat. vier) leitet sich der Name des motorradartigen Geländefahrzeugs ab: Quad.

Das funktioniert anfangs ganz locker. Doch schon nach der ersten Stunde wüstenkurzwelligen und knochenharten Terrains täte ein Stopp gut. Zu verkrampft die Hände, zu zerrappelt der Hintern, trotz Brille und Tuch zu verklebt Nase und Augen. Geplant ist ein Halt erst später. Doch da kommen Beduinen zur Hilfe. Ziemlich unvermittelt sind sie aufgetaucht. Und noch überraschender, gleichsam das Bild im Kopf vom touristischen Walt-Disney-Ägypten korrigierend: Es sind »echte«. Also nicht die, die als Urlauberattraktion folkloristische Zeltlager betreiben.

A'rab, die echten

Wir werden eingeladen. Da war sie, die erwartete, in unserem Quad-Fall auch sehnlich erhoffte, sprichwörtlich arabische Gastfreudschaft. Dieses Stichwort führt indes im Verlauf des Gesprächs, was unser Guide mit viel emotionalem Eigenanteil ins Englische dolmetscht, zu Irritation wie Aha-Effekt. Ja, ihr geläufiger Name, Beduinen, sei ein arabisches Wort (von badawi, Wüstenbewohner). Sie selbst sehen sich allerdings nicht als Araber, sondern als d i e A'rab. Und zwar als die einzigen und ursprünglichen, stellt ihr Schech, der Älteste, klar.

Dies nun ergänzt unser junger Guide von sich aus dahingehend, dass ägyptische Beduinen gar keine arabischen sein können. Araber seien nämlich vor allem die Arab garab, die »lausigen«, die »kulturlosen« Brüder im Glauben aus Saudi-Arabien. Ägypter hätten mit Arabern bestenfalls Sprache, Schrift und Islam gemein. Ansonsten gehe ihre Tradition auf die Pharaonen zurück. Das sehe in Ägypten fast jeder so. Wie aussichtslos muss unter diesem Blickwinkel das ohnehin kurzlebige Projekt der Vereinigten Arabischen Republik von Gamal Abdel Nasser (Ägyptens Präsident von 1954 bis 1970) gewesen sein.

Aber ob nun A'rab, Araber, Ägypter oder auch nicht – gastfreundlich sind Beduinen allemal. Es gibt Fladenbrot und natürlich den starken schwarzen Tee mit etwas Minze und reichlich Zucker. Oder wahlweise Kaffee, der für ausländische Gäste meistens ein ahwa mazbut (Kaffee gerade richtig) ist. Was nur einen Löffel Zucker meint und nicht etwa drei wie beim landestypischen ahwa ziyada (Kaffee übermäßig). Beduinenfrauen bekommen wir, was unserer gängigen Vorstellung ebenfalls entspricht, übrigens nicht zu sehen. Dafür klingelt plötzlich ein Handy. Nicht beim Guide, nicht bei einem von uns, sondern bei einem der Beduinen. Irgendwie scheint das etwas bizarr. Doch warum eigentlich kein Handy, wenn auch Plastflaschen und Marlboro längst zum Beduinenalltag gehören?

Kurz vor dem Abschied versichert einer aus der Quad-Gruppe artig deutsch-höflich, wie hübsch doch die Teegläser seien. Natürlich muss er daraufhin seins mitnehmen. Denn so viel Bewunderung fordert beduinische Gastfreundschaft zur sofortigen Schenkung heraus. Itfaddal! (Bitte, nehmen Sie!). Jedes verschämte Aber nicht doch, danke! wäre nicht nur unhöflich gewesen, sondern schlicht unverständlich. Denn ein einfaches Nein gilt hier nicht als Nein, sondern als Ja.

In den Touristenorten entlang des Roten Meeres zeigt sich Ägypten indes weniger rätselhaft, sondern längst in professioneller khawaga-geprägter Gastfreundschaft. Khawaga (weibl. Khawagaya) steht für den Ausländer, der aus dem Norden oder Westen kommt. Und der will hier im Normalfall nicht grübeln, ob Ja oder Nein gemeint ist, sondern bestenfalls ein bisschen mit dem Andenkenhändler feilschen. Ansonsten aber seine Tage am Pool oder Strand, auf, im und unter Wasser verbringen.

Vor allem beim Tauchen gilt nicht etwa das ansonsten im Lande allerorten vertröstend-tröstende In scha Allah (Wenn Gott will), sondern safety first und properness (Sicherheit zuerst und Korrektheit). So betont es unser forscher Tauch-Guide immer wieder. Sein Boot legt also weitgehend pünktlich ab, Ersatzmundstücke sind vorhanden, die Flaschen gefüllt, und die herrlichsten aller Korallenriffe warten ohnehin unverrrückbar vor der Küste.

Nur mit den versprochenen Meeresschildkröten hapert es anfangs. Da wiederum fällt selbst der ansonsten so coole junge Mann ins Ägyptische zurück. Malisch! Das ist das beschwichtigende, für jede missliche Lage Verständnis erheischende Universalzauberwörtchen. Und Malisch zaubert dann tatsächlich auch schon einen Tag darauf die imposanten Grünen Meeresschildkröten (Chelonia mydas) auf ihre Weidegründe in tiefblauer Tiefe herbei.

In mindestens zwei Angelegenheiten decken sich ausländisches Urteil und Vorurteil übrigens mit den ägyptischen Gegebenheiten. Zumindest fast. Bei Bauchtanz und Bakschisch. Ersterer ist tatsächlich bei allen Festivitäten, egal ob familiär, offiziell oder touristisch, allgegenwärtig. Nur heißt er nicht Bauchtanz, sondern Raqs scharqi (orientalischer Tanz). Seine Tradition ist im Alltag sogar viel stärker als das offizielle religiöse Verbotsurteil der altehrwürdigen Kairoer Al-Azhar-Universitätsmoschee.

Gruß vom Zimmermann

Bakschisch hingegen ist durch den Islam geradezu gefordert. Und wird erwartet, nicht erbettelt. Mitunter auch mit entwaffnender ägyptische Höflichkeit signalisiert. Der Mann, der im Hotel täglich das Zimmer aufräumte, hinterließ am letzten Abend auf dem Tisch eine Ansichtskarte mit folgender, sicher schon vielfach erprobter Aufschrift: »Hallo Mein Lieben Freund! Gute Schöne Zeit – Ich Würde Sie Gerne Wieder Sehen. Viel Glück Für Leben. Zimmermann Zidan.«

Ma a salama und Danke, Zidane! Das war durchaus mehr, als ein Khawaga erwartet, um ein Bakschisch dazulassen. Reisen kann eben Urteile wie Vorurteile korrigieren.

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Per Flossen in die Tiefe
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