Die Angst der Tories vor dem Wahltag

Parteitag der britischen Konservativen vor dem Hintergrund sinkender Umfragewerte

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

»Mutige, radikale Politik für eine wirkliche Wende« versprach Konservativenführer David Cameron beim Jahrestreffen seiner Partei in Brighton. Sein Finanzsprecher bot dagegen widersprüchliche Rezepte.

Ein Gespenst geht um unter Großbritanniens Konservativen: die Angst, in der schlimmsten Rezession seit achtzig Jahren, gegen eine verbraucht wirkende Regierung und einen unbeliebten Premier die Wahlen im Frühjahr doch nicht zu gewinnen. Um die absolute Mehrheit im Unterhaus zu erreichen, braucht Cameron 117 zusätzliche Mandate. Als die Tories in den Herbstumfragen um die 18 Punkte führten, schien der Sieg eine Selbstverständlichkeit; ihr Vorsprung ist jedoch in der neuesten »Sunday-Times«-Umfrage auf zwei Prozent zusammengeschmolzen.

Hinzu kommt eine durch das Mehrheitswahlrecht entstehende Besonderheit: Die Partei mit der höchsten Stimmenzahl bekommt nicht automatisch die meisten Mandate. 1951 siegten Winston Churchills Konservative, obwohl Labour mehr Stimmen bekommen hatte; im Februar 1974 errang die an Stimmen knapp unterlegene Labour-Opposition vier Sitze mehr als die Tories und bildete eine Minderheitsregierung. Wegen der vielen Kleinparteien behaupten Wahlforscher, dass Cameron für die absolute Mehrheit einen Vorsprung von etwa sieben Prozent der Stimmen braucht.

Dagegen spricht, dass Lord Ashcroft, Tory-Schatzmeister und bekanntester Steuerflüchtling des Landes, in den von Labour mit knapper Mehrheit gehaltenen Wahlkreisen die Oppositionskandidaten finanziell hochpäppelt; dort könnten die Tories also überdurchschnittlich gut abschneiden.

In Brighton strengten sich die Konservativen gehörig an. Schattenfinanzminister George Osborne preschte vor, bot als Rezepte Kürzungen des Staatsdefizits und reduzierte Unternehmenssteuern an, versprach nicht näher beschriebene familienfreundliche Maßnahmen, mehr Geld für den Gesundheitsdienst, höhere Standards an den Schulen und eine sehr vage politische Wende.

Dass das zweite Ziel mit dem ersten konkurriert, focht ihn nicht an, die weiteren milden Gaben wirken auch nicht seriös, zumal Osborne bisher die nötige Kombination von Weitblick, Konsequenz und purem Glück nicht nachgewiesen hat. Hier rechnen die meisten eher mit drastischen Streichungen bei Armen, Arbeitslosen und Rentnern sowie mit einer saftigen Erhöhung der Mehrwertsteuer, auch wenn Osborne davon schweigt.

Parteichef Cameron, der mehr Vertrauen genießt als seine Kollegen, beschwor erwartungsgemäß den Slogan des Wandels, den das Volk angeblich von den Konservativen ersehnt. Großbritannien sei in einem katastrophalen Zustand, und er sehe es als patriotische Pflicht, Gordon Brown aus dem Amt zu verjagen. Der Premier sei unfähig, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Da müssten die Tories die Ärmel hochkrempeln, die Wahl gewinnen und im Lande die Wende schaffen.

Am Ende des Tunnels scheine ein helles Licht, beschwor der Prophet und machte seine Klischeekiste zu. Trotz aller Phrasen ließ er jedoch die Zuhörer im Unklaren, worin die Wende bestehen und wie eine Tory-Regierung die Kürzungen im Staatshaushalt bewerkstelligen würde. Nur ein Punkt bleibt den Tories heilig: die Reduzierung der Erbschaftssteuer für die Reichen. So kumpelhaft sich »Dave« Cameron zu geben versucht: er meint wohl eine Wende nach rückwärts.

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