Tekel bricht die Zelte ab

Schwaches Gewerkschaftsrecht in der Türkei eigentliches Problem im Streit um den ehemaligen Staatskonzern

  • Jan Keetmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Tekel-Arbeiter haben nach Repressionsdrohungen ihre Zelte in Ankara abgebrochen. Der Arbeitskampf um den ehemaligen Staatskonzern ist jedoch nicht vorbei. Das Problem ist das schwache Gewerkschaftsrecht in der Türkei.

Nach 78 Tagen in der Winterkälte haben am Dienstag Tausende von Arbeitern ihr Zeltlager in Ankara abgebaut. Der Gouverneur hatte mit einem Polizeieinsatz gegen das Lager der Tekel-Arbeiter und Arbeiterinnen gedroht. Doch die Gewerkschaft Tekgida-Is will den Kampf mit dezentralen Aktionen und falls nötig mit einer neuen zentralen Aktion am 1. April in Ankara fortsetzen. Selbst ein Generalstreik am 26. Mai wird erwogen.

Dass es überhaupt zu einem Fall Tekel kam, zeigt die Schwäche des türkischen Arbeitsrechtes. Die Regierung hatte das Staatsunternehmen Tekel, einen Hersteller von Alkoholprodukten und Zigaretten, der früher auch verschiedene Monopole hielt, verkauft. Doch der neue Eigentümer hatte die Arbeitsverträge einfach nicht übernommen. Die Regierung hat den betroffenen ca. 11 000 Arbeitern, die Übernahme in den öffentlichen Dienst angeboten. Dafür sollen sie sich mit dem Status 4-C begnügen. Gegenüber der Beschäftigung bei Tekel bedeutet das Lohneinbußen von um die 50 Prozent. Unter 4-C gelten die Arbeiter außerdem nicht als dauerhaft beschäftigt. Es gibt nicht den mindesten Kündigungsschutz und keinen Anspruch auf Urlaub.

Besonders erbittert hat die Tekel-Arbeiter auch, dass sie unter 4-C einen Teil ihrer Rentenansprüche verlieren. Beim Ausscheiden aus dem Berufsleben erhält man in der Türkei zusätzlich zu der schmalen Rente eine einmalige Zahlung und zwar für jedes Arbeitsjahr ein Monatsgehalt in Höhe des zuletzt bezahlten Lohnes. Doch da man unter 4-C nicht dauerhaft beschäftigt ist, entfällt auch dies.

Ministerpräsident Erdogan warf den Arbeitern vor, ihre Aktion sei nicht die Art, wie man seriöse Forderungen stelle, es ginge ihnen in Wirklichkeit, um den Sturz der Regierung. Schließlich hielt Erdogan den Arbeitern noch zynisch vor, dass es viele Arbeitslose in der Türkei gebe, die froh wären, wenn sie zum Status 4-C Arbeit finden würden. Sonst kommt das Thema Arbeitslosigkeit in den Reden Erdogans nicht vor, obwohl die Türkei mit 14 Prozent mittlerweile nach Spanien die zweithöchste Arbeitslosenquote in Europa hat.

Außerdem wurde den Arbeitern die Pistole auf die Brust gesetzt: Wer nicht innerhalb von 30 Tagen einen Antrag auf Einstellung nach 4-C stellte, sollte jeden Anspruch verlieren. Nach Zahlen der Tekgida-Is ist nur jeder vierte Arbeiter vor Ablauf der Frist auf dieses Angebot eingegangen und von diesen wurde auch nur ein Teil tatsächlich eingestellt.

Doch zum Abschluss ihrer Aktion in Ankara konnten die Tekel-Arbeiter wenigstens einen juristischen Teilsieg feiern. Das oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat die von der Regierung gesetzte Frist von 30 Tagen für ungültig erklärt. Damit haben die Tekel-Arbeiter erst wieder einmal etwas Luft bekommen. Doch im Prinzip ist der Streit nicht entschieden.

Die lange Aktion in Ankara wäre nicht möglich gewesen ohne die Solidarität aus dem In- und Ausland. Zum Schluss besuchte der Vorsitzende der Tekgida-Is, Mustafa Türkel mit einer Delegation der Arbeiter einzeln die Geschäfte in der Sakarya-Straße in Ankara und verteilte Blumen. Viele kleine Händler hatten es den Arbeitern gestattet, sich in ihren Räumen aufzuwärmen und auch Lebensmittel und Heizmaterial an sie verteilt. Friseure waren in das Lager der Arbeiter gekommen, um sie kostenlos zu frisieren.

Unter den ausländischen Gewerkschaften, die die Tekel-Arbeiter unterstützt haben, befindet sich auch die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten die Spenden für die Tekel-Arbeiter gesammelt hat und auch noch sammelt.

Mit der Solidarität eines Teiles der türkischen Gewerkschaften war Mustafa Türkel indessen weniger zufrieden. Allerdings sind Solidaritätsstreiks in der Türkei auch besonders schwer zu organisieren, denn die Arbeiter verlieren, wenn sie auch nur einen Tag streiken, alle Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung, falls sie innerhalb der nächsten sechs Monate arbeitslos werden. Außerdem sind Streiks nur im Zusammenhang mit einer aktuellen Tarifauseinandersetzung legal.

Das eigentliche Problem im Tekel-Konflikt ist und bleibt das Arbeitsrecht der Türkei und das Gewerkschaftsrecht. In diesem Bereich ist der Regierung jede Ausrede recht, um ja nichts tun zu müssen. Mehr Druck aus Europa könnte nicht schaden.

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