Drei Religionen vereint in einem Chor

Sänger aus dem türkischen Antakya setzen Zeichen für Toleranz / Auftritt während der ITB in Berlin

  • Renate Wolf-Götz
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit seinen Auftritten will der Chor der Religionen ein Zeichen für den Frieden setzen. Fotos: Renate Wolf-Götz
Mit seinen Auftritten will der Chor der Religionen ein Zeichen für den Frieden setzen. Fotos: Renate Wolf-Götz

Als Yilmaz Özfirat kurz vor acht den Proberaum betritt, stehen die Sänger in kleinen Grüppchen zusammen, trinken Kaffee oder Tee und unterhalten sich. Der Chorleiter begrüßt sie, kurz darauf steht der Chor weiß gewandet im Halbrund vor ihm. Voller Dynamik stimmt der Mittvierziger melodische Lieder aus dem Repertoire von Christen, Juden und Moslems an, jedes der Chormitglieder singt begeistert. Der Rhythmus und die harmonische Stimmung übertragen sich schnell auf die Zuschauer, und bei bekannten Stücken klatschen alle im Takt mit.

Vor gut drei Jahren hatte der Chorleiter, der hauptberuflich als Musiklehrer arbeitet, die Idee, im türkischen Antakya einen Chor der Religionen zu gründen. »Unsere Stadt war immer schon ein Ort des Friedens und der Toleranz«, sagt der temperamentvolle Musiker. Mit Verve stellte er eine Gruppe zusammen, in der Sechs- bis Achtzigjährige der drei Glaubensrichtungen gemeinsamen singen. Bei der türkischen Regierung stieß das Projekt als Zeichen des friedlichen Miteinanders auf offene Ohren. Nach dem ersten öffentlichen Auftritt in Ankara folgte bald ein weiterer vor dem Präsidenten der Vereinten Nationen, erzählt Yilmaz stolz und fügt an, dass sein Name auf deutsch der Unbeugsame heißt.

Auch Barbara Kallasch ist so eine Unbeugsame. Als Zwanzigjährige pilgerte die Rheinländerin nach Jerusalem, um dort ein freiwilliges soziales Jahr zu machen. Doch sie blieb in Antakya »hängen«, wo einst Petrus und Paulus die Gläubigen erstmals als Christen bezeichneten. In den 30 Jahren, die Barbara nun hier lebt, hat sie aus der kleinen katholischen Gemeinde ein lebendiges Begegnungszentrum gemacht. Jede Woche sammelt die Pastoralassistentin katholische, orthodoxe und muslimische Jugendliche zu einem ökumenischen Friedensgebet um sich. »Wer miteinander singt, Andacht hält und anschließend zu Tisch sitzt, übt keine Gewalt aus«, sagt sie in ihrem unerschütterlichen Glauben und stimmt auf ihrer Gitarre die passenden Akkorde zu einem Lied an. Bei ihrem stetigen Einsatz für das Zusammenleben in Frieden versteht es sich fast schon von selbst, dass die Sangesfreudige auch an der Gründung des Chors der Religionen mitgewirkt hat.

In Antakyas engen Gässchen verbirgt sich fast unscheinbar das »ökumenische Dreieck«. Buchstäblich im Schatten der ältesten Moschee Anatoliens steht der Glockenturm der katholischen Petrus- und Paulus-Kirche. Die nahe gelegene Synagoge schließt das Dreieck. Gäste sind bei den Christen, den Juden ebenso wie bei den Moslems willkommen. Zum Nachmittagsgebet ertönt im Innenhof der Moschee der Sprechgesang des vorbetenden Imam in melodischem Klang. Danach führt das Oberhaupt der Moslem-Gemeinde durch das Gotteshaus, dessen Mauern den Stürmen der Zeit standgehalten haben. Als Moslems im siebten Jahrhundert Antiochia erobert hatten, wurde aus der christlichen Kirche die erste Moschee der Türkei. Gut 300 Jahre später kamen die Byzantiner und verwandelten das Gebetshaus wieder in eine christliche Kirche. Nach weiteren 200 Jahren kamen die Moslems zurück. Seitdem wird die Kirche als Moschee genutzt.

Doch die barocke Architektur, die die Ära des osmanischen Reiches widerspiegelt, blieb unverändert. In den Katakomben zeigt Ahmet Yaylace den Sarkophag des Apostels Petrus neben dem des Märtyrers Habibi Neccar, der von den Moslems verehrt wird. »Diese beiden Botschafter Jesu haben gemeinsam mit Paulus den Weg für die Toleranz in unserer Stadt bereitet«, erzählt der Imam. Sein Wunsch ist, dass die religiösen Minderheiten überall toleriert werden, genau wie in Antakya. Als Chormitglied will er dafür ein Zeichen setzen.

In der Hauptstadt des südosttürkischen Hatay-Gebietes, das einst zum Osmanischen Reich gehörte, hat die Politik Atatürks, der in den 1920ern die Trennung von Kirche und Staat verlangte, nicht gefruchtet. »Wir sind so kleine Gemeinden«, sagt der Rabbi in der Synagoge, »wir müssen einfach zusammenhalten«. Vor über 500 Jahren haben die Vorfahren der Juden, nachdem sie aus Spanien vertrieben wurden, hier eine Heimat gefunden. »Wir gehören hierher«, betont Haron Cenal. »Und wir fühlen uns wohl in der Nachbarschaft zu den Christen und Moslems.«

Abends beim Chorkonzert entdeckt man den Rabbi und den katholischen Pfarrer unter den Tenören, den Imam bei den Bässen und Barbara hat sich bei den Alt-Stimmen eingereiht. Yilmaz Özfirat gibt den Takt an, er hat sichtlich Spaß am Gesang – ebenso wie die Sängerinnen und Sänger.

  • Infos: Botschaft der Republik Türkei, Rungestraße 9, 10179 BerlinTel.: (030) 214 37 52, E-Mail: info@tuerkei-kultur-info.de
  • Der Chor wird am 11.3., 20 Uhr, anlässlich der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin im Französischen Dom ein Konzert geben; Vorverkauf: Konzertkasse im Französischen Dom, Abendkasse Eintritt: 15 ?,? zzgl. VVG
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