Britische Liberale scheuen klares Wort
Nick Clegg will sich vor der Wahl nicht festlegen
Die Partei von William Gladstone und Lloyd George, Charles Kennedy und Menzies Campbell steht seit 100 Jahren im politischen Spektrum meistens eine Kleinigkeit links von der Mitte. Bei der Wahl 2005 gewann sie wegen konsequenter Opposition gegen Irak-Krieg und Studiengebühren die Stimmen hunderttausender enttäuschter früherer Labour-Wähler, verteidigte ihre gutbürgerlichen Wahlkreise in Süd- und Südwestengland und jagte behäbigen Labour-Abgeordneten in Nordengland Angst ein. Mit 63 Unterhaussitzen erreichte Britanniens dritte Kraft ihre höchste Mandatszahl seit 80 Jahren.
Beim jüngsten Parteitag boten Parteichef Nick Clegg und sein angesehener Finanzsprecher Vince Cable eine Reihe Wahlgeschenke feil: eine gerechtes Steuersystem, das Geringverdiener entlasten würde, bessere Bildungschancen für alle Kinder, eine nicht näher definierte »grüne Volkswirtschaft«, die Einführung des Verhältniswahlrechts, mehr Offenheit und Fairness. Nur Friede, Freude, Eierkuchen fehlten auf dem Spickzettel – der Krieg in Afghanistan und das katastrophale Irak-Abenteuer blieben in der Rede unerwähnt. Aber Cleggs Selbstbildnis fürs Wahlvolk wurde deutlich: viel lächeln, bei den Dreierdebatten mit Gordon Brown und David Cameron im Fernsehen die beiden Gegner streiten lassen und sich mit Nadelstichen nach beiden Seiten aus dem Disput heraushalten. Labour fehle es an Mut und Ehrlichkeit, die Konservativen seien die »Partei der Steuerflüchtlinge«, sagte Clegg und wies damit auf den unverhältnismäßigen Einfluss des stellvertretenden Tory-Vorsitzenden und Großspenders Lord Michael Ashcroft hin. Eine Stimmabgabe für die Liberalen sei eine Entscheidung für die Hoffnung, seine Kollegen seien Garanten für Vernunft.
Auf lokaler Ebene zeigen sich Cleggs Mannen anders: als Vertreter des blanken Opportunismus, die statt Offenheit mit taktischen Winkelzügen hausieren gehen. In Labourwahlkreisen wendet sie sich an Konservative: »Hier können die Tories nicht gewinnen, wählt mit uns Browns Mann ab...!«, in rechten Hochburgen wendet sie sich mit der gleichen Masche an Labour-Anhänger, die einen konservativen Abgeordneten verhindern sollen. Von Grundsätzen oder Rückgrat keine Spur.
Der ehemalige Europa-Abgeordnete Clegg will bei einem Gleichstand im Unterhaus nach der Wahl, die wahrscheinlich am 6. Mai stattfindet, keine Koalition eingehen, sondern höchstens eine Minderheitsregierung der »von den Wählern offenbar begünstigten Partei« tolerieren. Was wäre jedoch, wenn – was laut neuester Umfrage der »Sunday Times« durchaus möglich wäre – die Konservativen die meisten Stimmen bekommen, Labour aber mehr Mandate gewinnt?
Seine größere Nähe zu Labour machte Clegg durch die Forderung deutlich, vor Ende der Wirtschaftskrise keine drastischen Haushaltskürzungen vorzunehmen, die jeden Aufschwung im Keim ersticken könnten. Damit distanzierte er sich vom sparwütigen Schattenfinanzminister der Konservativen, George Osborne. Mit den Tories will Clegg also nicht. (Was wäre jedoch, wenn sie von den Wählern begünstigt werden?) Aber mit dem international anerkannten Finanzfachmann Brown will Clegg auch nicht zusammenarbeiten (»Wer uns in die Krise hineingeführt hat, kann uns nicht hinausführen«). Also mit Labour, aber ohne Brown? Will der liberale Schwanz mit dem Labour-Hund wedeln? Clegg will keinen Wähler verprellen. Aber die brutale Wahrheit heißt nach Ansicht von Labours Wahlkoordinator Douglas Alexander: Premierminister wird Clegg nicht. Der Oberliberale kann nicht siegen, weil er kein Löwe oder Tiger, sondern ein Chamäleon ist.
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