Neue französische Farbenlehre
Linke diskutiert nach Erfolg in Regionen über Bündnisse für kommende Präsidentschaftswahl
Nach den schweren Niederlagen für die französische Sozialistische Partei (PS) bei den vergangenen Präsidentschafts- und Europawahlen wirkte die zweite Runde der Regionalwahlen am vergangenen Sonntag wie ein Befreiungsschlag. Die Parteichefin der Sozialisten, Martine Aubry, kommentierte das Wahlergebnis von knapp 54 Prozent für das linke Bündnis aus PS, Grünen und Linksfront sowie den Sieg in 21 von 22 Regionen im europäischen Teil Frankreichs betont nüchtern. Ihre Erleichterung war dennoch offensichtlich. Schließlich konnte die konservative Regierungspartei UMP nur im Elsass und in den Überseeregionen La Réunion und Französisch Guayana bestehen.
Der Initiator des grünen Parteibündnisses Europe Écologie (EE), Daniel Cohn-Bendit, war nach dem Erfolg besser aufgelegt und kommentierte kurz: »Das ist prima.« Gleichzeitig verwies der Alt-68er und Nostalgielinke in bekannter Manier auf die bevorstehenden Schwierigkeiten, denn nun gehe es darum, »ein tragfähiges Projekt von Sozialisten und Grünen für die Präsidentschaftswahlen 2012 zu entwickeln«. Es geht um nichts weniger als die Abwahl von Präsident Nicolas Sarkozy.
Was den einen als logische Folge der Regionalwahlen im Hinblick auf 2012 erscheint, ist anderen trotz allen Jubels ein Ballast. Zwar knüpfte die aus Linkspartei (PG) und Kommunisten (PCF) gebildete Wahlplattform Front de Gauche (FG) in der ersten Runde der Regionalwahlen vor zwei Wochen an die Ergebnisse bei den Europawahlen im vergangenen Jahr an, aus einem strategischen Dilemma ist das Bündnis aber noch lange nicht. Denn obwohl der sozialistische Schwesternstreit zwischen Martine Aubry und der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal nicht beigelegt sein dürfte – Royal erhielt in der Region Poitou-Charentes etwa 60 Prozent der Stimmen –, gehen die Sozialisten mit breiter Brust und etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen im eigenen Wahlbündnis in die Präsidentschaftswahlen. Hinzu kommt, dass die Grünen mit über 12 Prozent der Stimmen erneut drittstärkste Kraft in Frankreich wurden.
Jean-Christophe Cambadélis, einer der Architekten der unter Premierminister Lionel Jospin von Sozialisten und Kommunisten Ende der 90er Jahre installierten Allianz »gauche plurielle« (pluralistische Linke), spricht denn auch schon von einem neuartigen Linksbündnis. Dieses Mal nicht zwischen Sozialisten und Kommunisten mit einer offenen Tür für die Grünen, sondern von einem rot-grünen Bündnis, das den Kommunisten den Eintritt nicht verwehren sollte. Zwar hatten die seit François Mitterrand geknüpften Bündnisse zwischen Sozialisten und Kommunisten letztere beinahe in die Bedeutungslosigkeit geführt, an einer Deplatzierung der radikalen Linken innerhalb eines neu entstehenden rot-grünen Lagers kann aber weder der PCF noch der PG gelegen sein.
Problematisch im Hinblick auf die kommenden Wahlen dürften für die radikale Linke vor allem die unterschiedlichen Strategien innerhalb der Front de Gauche sein. Hatte die Gründung der französischen Linkspartei vor einem Jahr dem zerstreuten linken Lager noch Mut gemacht und die Kommunisten vor dem Absturz gerettet, scheint es nun so, als würde das dünne Band zwischen PCF und PG arg gespannt werden. Denn während der Gründer der französischen Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, von einer starken Linken unabhängig von Sozialisten und Grünen träumt, will sich PCF-Chefin Marie-George Buffet nicht von einem breiten Bündnis verabschieden. Vielmehr schwebt ihr eine linke Volksfront (Front populaire) des 21. Jahrhunderts vor. So war es auch nicht verwunderlich, dass Buffet vor der zweiten Runde der Regionalwahlen die Bündnisse mit Sozialisten und Grünen aushandelte. Symbolträchtig posierte sie Arm in Arm mit Aubry und der Grünen-Chefin Cécile Duflot in einem Pariser Café für den gemeinsamen Wahlantritt vor der Presse.
Dennoch gelang es nicht, in allen Regionen einen gemeinsamen Auftritt zu organisieren. In Limousin trat die Front de Gauche mit der radikalen Sammlungspartei NPA des Trotzkisten Olivier Besancenot nicht nur gegen die UMP an, sondern auch gegen das Bündnis aus Sozialisten und Grünen. Und man erreichte dort stattliche 19 Prozent. Auf der bislang kommunistisch regierten Insel La Réunion konnten die Sozialisten nicht bewegt werden, die traditionell starke PCF zu unterstützen. Das Überseedepartement wird nun von der UMP geführt.
Der Erfolg der Linken bei den Regionalwahlen in Frankreich könnte so vor allem für die radikale Linke zur Bürde werden. Die Debatten zwischen Linkspartei und Kommunisten über rot-(rot)-grüne Bündnisse und die parteipolitische Eigenständigkeit dürften demnach spannend werden, auch für die europäische Linke. Andernorts, zum Beispiel in Italien oder Skandinavien, aber auch in Deutschland, werden die französischen Entwicklungen mit Interesse verfolgt. Teilte man im beginnenden 21. Jahrhundert die Erfahrung der Marginalisierung der Parteien der radikalen Linken durch Wahl- und Regierungsbündnisse mit der Sozialdemokratie, werden nun Stimmen laut, die rot-rot-grüne Formationen noch nicht aufgegeben haben. In Island und Norwegen gibt es solche – erstaunlich erfolgreichen – Verbindungen, in Dänemark werden sie unter dem Eindruck einer radikalen Rechten in Regierungsverantwortung forciert. In Deutschland sind Ausdruck der Orientierungssuche die Debatte vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, die Gründung des Instituts solidarische Moderne und die gerade begonnene Programmdebatte in der LINKEN.
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