Viele Fragezeichen zu Nabucco
EU geht in der Frage konkurrierender Erdgas-Pipeline-Projekte auf Russland zu
Anfang März unterbreitete Paolo Scaroni, der Chef des italienischen Energiekonzerns Eni, seinen russischen Geschäftspartnern im staatlichen Gasmonopolisten Gazprom einen überraschenden Vorschlag: Die russische South-Stream-Pipeline und ihr europäisches Gegenstück Nabucco könnten teilweise zusammengeschlossen werden. »Wenn alle Projektpartner die beiden Gaspipelines an einem Abschnitt zusammenfügen, können wir die Investitionen und die Kosten verringern sowie die Einnahmen vergrößern«, so Scaroni. Auch der neue EU-Energiekommissar Günther Oettinger erklärte, die Europäische Kommission nehme South Stream und Nabucco nicht als konkurrierende Projekte wahr und beurteile die Perspektiven beider Vorhaben als »hervorragend«.
Tatsächlich sind beide Pipelineprojekte sehr kostspielig. Nabucco wird auf knapp 8 Milliarden Euro veranschlagt, die Realisierung von South Stream auf bis zu 24 Milliarden Euro. Sie gelten als wichtige Trümpfe im geopolitischen Machtkampf zwischen Russland und dem Westen um die Energieträger Zentralasiens, insbesondere der kaspischen Region. Die von Gazprom in Kooperation mit Eni geplante South-Stream-Pipeline soll vom russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk über 900 Kilometer auf dem Meeresboden in westliche Richtung bis zum bulgarischen Varna verlaufen und von dort Erdgas in zwei Strängen bis nach Italien und Mitteleuropa verteilen. Bis zu 63 Milliarden Kubikmeter sollen hier voraussichtlich ab 2015 befördert werden Die von einem europäischen Konsortium aus sechs Energiekonzernen getragene Nabucco-Pipeline sieht hingegen die Beförderung von jährlich bis zu 31 Milliarden Kubikmetern kaspischen und zentralasiatischen Erdgases über das Territorium der Türkei – also unter Umgehung Russlands – vor. Bei Bewilligung würden die Arbeiten offiziell 2011 beginnen und frühestens 2014 abgeschlossen sein.
Die Antwort des Kreml auf die jüngsten energiepolitischen Avancen der Europäer fiel eindeutig aus: »Wir diskutieren solche Sachen gar nicht«, erklärte der russische Energieminister Sergej Schmatko. Moskau befürchte, in einem solchen Falle »die Kontrolle über einen Teil der Pipelineroute« zu verlieren, was zum Ausbruch eines erneuten »Gaskrieges« führen könne, wie er Anfang 2009 zwischen der Ukraine und Russland tobte, erläuterte die Nachrichtenagentur »RIA-Novosti«. Tatsächlich gilt die Umgehung osteuropäischer Transitländer als wichtige strategische Zielsetzung sowohl der russisch-deutschen Ostsee-Pipeline wie auch des South-Stream-Projektes. Schmatko nannte demnach auch den entscheidenden Grund für das »Njet«: Russland verfüge über »die Rohstoffquellen für die Auslastung der Pipeline«.
Dies gilt für die Europäer hingegen nicht. Sie konnten bisher nur Aserbaidschan als verbindlichen Lieferanten gewinnen, der in der Anfangsphase acht bis zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas über Georgien der Nabucco-Pipeline zuführen könnte. Verbindliche zusagen seitens des erdgasreichen Turkmenistans blieben trotz europäischen Werbens bislang aus; der Energieträger müsste hier auch kostspielig über das Kaspische Meer befördert werden. Auch in Baku ist man sich darüber im Klaren, dass die Europäer weitere Quellen für ihre Pipeline benötigen. Der aserbaidschanische Energieminister Natiq Alijew erklärte, erst in »ein paar Jahren« könnten Iran und Irak Erdgas für Nabucco liefern, wenn sich die politische Lage stabilisiere. Er äußerte auch Zweifel am Baubeginn der Pipeline im kommenden Jahr. Die aserbaidschanische Führung scheint sich nach allen Seiten absichern zu wollen. Man wolle eventuelle Gaslieferungen »nicht politisieren« und erwäge auch eine Beteiligung an der russischen South-Stream-Pipeline, hieß es seitens des staatlichen Energiekonzerns SOCAR.
Derweil sorgt EU-Kommissar Oettinger für Irritationen. Er sagte der »Süddeutschen Zeitung« (Donnerstag), Nabucco werde frühestens 2018 in Betrieb gehen. Am gleichen Tag kam die Richtigstellung aus Brüssel, dass weiterhin mit dem Start 2014 gerechnet werde. 2018 später werde die Pipeline ihre volle Kapazität erreichen.
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