EU speckt ab – bei Wohlstand und Bildung
Gipfel steckte Wirtschaftsstrategie für die nächsten zehn Jahre ab / Notfallplan für Griechenland soll Stabilität des Euro sichern
Brüssel (Agenturen/ND). Die EU-Staats- und Regierungschefs verfehlten beim Gipfel in Brüssel zunächst gemeinsame, verbindliche Zielvorgaben in diesen Bereichen. Dies geht aus dem Entwurf für die Strategie »Europa 2020« hervor. Bis zur geplanten Verabschiedung im Juni dürfte die kontroverse Debatte über die 2020-Strategie weitergehen. Zu dem Zehn-Jahres-Plan gehören unterschiedliche nationale Reformprogramme, die in allen EU-Ländern umgesetzt werden müssen.
Auf Drängen der deutschen Bundesländer wurde das zunächst vorgeschlagene Ziel, 40 Prozent der jungen Menschen müssten eine Hochschulausbildung bekommen, noch nicht in die Strategie aufgenommen. Weil die deutschen Länder für die Bildungspolitik zuständig sind, soll erst im Juni ein EU-Gipfel über die Zielwerte entscheiden. Das vorgeschlagene Ziel, die Zahl der von Armut bedrohten Menschen um 20 Millionen zu senken, wurde in der Beschlussvorlage für den Gipfel »entschärft«: Dort heißt es nur noch, die Armut soll verringert werden. Auch das Ziel einer Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes um 30 Prozent bis 2020, sofern andere große Verschmutzer mitziehen, findet sich nicht mehr in dem Strategiepapier. Das ist zwar im Rahmen des EU-Energie- und Klimapakets schon beschlossen worden. Dass es nicht mehr im Zehn-Jahres-Plan vorkommt, könnte aber ein Zeichen für großen Widerstand innerhalb der EU sein, das 30-Prozent-Ziel bedingungslos zu verabschieden, um die stockenden Weltklimaverhandlungen voranzutreiben.
Unumstritten war die Vorgabe, dass in den kommenden zehn Jahren 75 Prozent der Bevölkerung unter 64 Jahren in Arbeit stehen sollen. Für Forschung und Entwicklung sollen drei Prozent der Bruttoinlandsprodukte ausgegeben werden. Jährlich sollen die Staats- und Regierungschefs über die Einhaltung der Zielvorgaben beraten.
Neu ist im Strategiepapier der Verweis auf die in den vergangenen Wochen vor allem von Frankreich beklagten Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen EU-Staaten. Hier steht vor allem Deutschland mit niedrigen Lohnstückkosten in der Kritik.
Lob gab es für den am späten Donnerstagabend beschlossenen Notfallplan für das schuldengeplagte Griechenland. Die in Aussicht gestellten Milliarden-Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Euro-Länder sollen als letzte Möglichkeit gewährt werden. Dies wäre der Fall, wenn Griechenland nicht mehr genügend Kredite an den Kapitalmärkten bekommt.
»Für uns alle ist ja wichtig, dass auch langfristig unsere gemeinschaftliche Währung, die ja ein solcher Erfolg ist für Frieden und Gemeinsamkeit, auch stabil bleibt«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. »Und das ist deshalb, glaube ich, für den Euro ein wichtiger Tag gewesen.«
Zufrieden zeigte sich auch der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker. »Mit einem Kompromiss ist man nie ganz zufrieden, aber die Lösung, die wir gefunden haben, ist eine tragfähige und belastbare Lösung – im Interesse Griechenlands und der ganzen Euro-Zone«, sagte Luxemburgs Premierminister.
Mit der Einigung auf einen Hilfsmechanismus für Schulden-Länder wie Griechenland oder Portugal überwand die Eurozone mit 16 Ländern beim Gipfel eine schwere Krise. Vorangegangen war ein wochenlanges diplomatisches Tauziehen, bei dem sich vor allem Paris und Berlin gegenüberstanden. Frankreich hatte lange eine Beteiligung des US-dominierten IWF abgelehnt, gab dann allerdings der Forderung von Kanzlerin Merkel nach.
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, kritisierte Merkel. Beschlossen worden sei »das, was seit vier Wochen auf dem Tisch lag«, sagte Schulz. Es sei die Forderung von Griechenlands Premier Giorgos Papandreou gewesen. Merkel habe vier Wochen Nein dazu gesagt, dann sage sie Ja und feiere sich anschließend als Siegerin. In der Zwischenzeit, so Schulz, habe es vier Wochen wilde Spekulationen auf den griechischen Staatsbankrott und gegen den Euro gegeben. »Der Schaden, der dadurch angerichtet worden ist, ist ziemlich groß«, unterstrich der Europa-Parlamentarier.
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