Noch ist Labour nicht verloren
Großbritannien: Vorsprung der Tories in Wahlumfragen schrumpft
Selbst Labour-freundliche Beobachter reiben sich über die Pattsituation verwundert die Augen. Die gleiche Partei hält sich seit 13 Jahren an der Macht, schon der allgemeine Wunsch nach Wechsel müsste sie hinwegfegen. Die Kriege in Irak und Afghanistan sowie die Weltwirtschaftskrise kommen hinzu; sicher nicht die direkte Schuld von Premier und Labour-Chef Gordon Brown, aber bei den Kriegen hielt er seinem Vorgänger Tony Blair die Treue und bei der Krise schob er den gehätschelten Bankiers keinen Riegel vor. Trotz Mindestlöhnen und Familienbeihilfen wurde die Kluft zwischen Arm und Reich noch tiefer. Brown gelang es nicht, dem Volk eine Vision zu vermitteln; stattdessen hagelte es Korruptionsvorwürfe gegen Abgeordnete aller Couleur. Den Hauptschaden hatte aber Labour.
Dagegen schaffte es der Tory-Strahlemann David Cameron, seine jahrelang als »garstig« verschriene Partei anscheinend blitzblank aufzupolieren. Jung, dynamisch, umweltfreundlich, ein rhetorisches Talent, bei vielen war der erste Eindruck ausgezeichnet. Heute sehen jedoch immer mehr Wähler, dass Cameron nur wenig mit ihrer eigenen Welt zu tun hat. Auch die meisten seiner Schattenminister überzeugen kaum.
Dabei boten ihnen die letzten Tage glänzende Vorlagen. Drei ehemalige Blair-Minister – Stephen Byers, Patricia Hewitt und Geoff Hoon – boten einer vermeintlichen PR-Firma ihre Dienste nach der Wahl an, für 3000 bis 5000 Pfund pro Tag. Die Firma existierte nicht, sondern war von den Dokumentarfilmern der Fernsehsendung Dispatches erfunden; Channel 4 strahlte die Interviews aus, am nächsten Tag wurden alle drei von der Fraktion suspendiert. Der obskure konservative Hinterbänkler John Butterfill ging den Filmemachern ebenfalls auf den Leim und kann wie wie die drei Kontaktfreudigen von Labour seine Hoffnung auf einen Sitz im Oberhaus begraben – wieder trifft der Volkszorn jedoch Labour.
Schlechte Nachrichten auch von der Streikfront. Schon zwei Wochenenden verweigerte das Flugpersonal von British Airways den Dienst. Dass sich der Arbeitskonflikt um Kostensenkungen durch Entlassungen dreht, dass die Gewerkschaft UNITE Lohnkürzungen zugestimmt hatte, der BA-Chef Willie Walsh jedoch ein fest versprochenes Angebot wieder vom Verhandlungstisch nahm, kümmerten Brown und Verkehrsminister Andrew Adonis wenig. Sie geißelten die Streikenden als unverantwortlich Handelnde. Ein weiterer Konflikt droht am Dienstag nach Ostern bei der Bahn, wobei es den Gewerkschaften RMT und TSSA ebenfalls darum geht, Entlassungen zu vermeiden, die obendrein ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten.
Mit dem Mut der Verzweiflung – und fünf neuen Wahlversprechungen – wandte sich der Premier inzwischen an schottische Parteiaktivisten. »Wir wollen als Wichtigstes die wirtschaftliche Erholung sichern«, schwor Brown, damit solle zugleich der Lebensstandard für Familien verbessert werden. Öffentliche Dienstleistungen »direkt an der Kundenfront« will Labour vor Kürzungen schützen; mehr Fairness in den Gemeinschaften wird verlangt – worunter allerdings nicht soziale Gerechtigkeit zu verstehen ist. Auch eine auf Hightech aufgebaute Volkswirtschaft soll her. Gut gebrüllt, Löwe, aber vage: Erst der Wahlkampf wird zeigen, wo die bevorstehenden riesigen Haushaltskürzungen stattfinden werden.
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