»Zukunft Europas« will keine Muslime in Polen
Premier Donald Tusk lobt jedoch »Toleranz« der Gesellschaft
Polens Regierungschef Donald Tusk gab am vergangenen Sonnabend den Sieger der parteiinternen Kandidatenvorwahl für die herbstliche Präsidentenkür bekannt: Der gegenwärtige Sejmmarschall Bronislaw Komorowski wird demnach im Auftrag seiner Bürgerplattform (PO) den amtierenden Staatspräsidenten Lech Kaczynski herausfordern. Komorowski erhielt bei der Vorwahl 68 Prozent der Stimmen und ließ seinen Parteikollegen Radoslaw Sikorski, den derzeitigen Außenminister, weit hinter sich. Premier Tusk nutzte die Gelegenheit, den Sieg der Demokratie und die Herausbildung einer toleranten Zivilgesellschaft in Polen zu loben.
Zur gleichen Zeit protestierte unweit eines Verkehrsrondells mit dem Namen »Zeslancy Sybiru« (Sibirienverbannte) im Warschauer Wohnviertel Ochota der Verein »Zukunft Europas« gegen den Bau einer Moschee. Die Polizei verhinderte Zusammenstöße zwischen den »Zukunftseuropäern« und Gegendemonstranten.
»Wir wollen nicht zulassen, dass es bei uns in Polen zu einer ähnlichen Situation wie in Berlin, London oder Paris kommt, wo muslimische Gettos entstanden sind«, sagte Jan Wojcik, Vorsitzender des Vereins »Zukunft Europas«. Dessen Kritiker protestierten mit Spruchbänder, auf denen die Losung »Nein zum Rassismus« zu lesen war. Die »Gazeta Wyborcza« veröffentlichte dazu am gleichen Tage eine Umfrage, wonach 48 Prozent der Befragten keine Bedenken gegen eine Moschee in der Nähe ihres Wohnsitzes haben.
Der Arzt Samir Ismail, der der »Muslimliga in der Polnischen Republik« vorsteht, informierte am Wochenende im Fernsehkanal TV-24: Um die Bewohner des Viertels nicht zu verschrecken, wolle man das Minarett nicht so hoch bauen, wie es eigentlich zu sein habe. Neben der Moschee solle ein Kulturzentrum mit Bibliothek, Galerie und Café eingerichtet werden. Mit irgendwelchen Terroristen habe die muslimische Gemeinde überhaupt nichts zu tun, betonte Ismail in einem an die Warschauer Medien gerichteten Brief. Nach seinen Worten gehören der Muslimliga vor allem Fachkräfte an, die an polnischen Hochschulen ausgebildet wurden und in polnischen Unternehmen und Institutionen beschäftigt sind. Die meisten hätten Familie.
Zwischen der Liga und dem bereits seit 1929 bestehenden Muslimischen Religionsverband werden derzeit Gespräche über eine Zusammenarbeit geführt. Wegen einiger Differenzen religiösen Charakters unter den sunnitischen Muslimen verliefen diese bisher allerdings schwierig. Dem Religionsverband gehören Nachfahren der schon seit dem 18. Jahrhundert in Polen siedelnden Muslime an, darunter Tataren, die unter König Jan III. Sobieski als Kavalleristen gedient hatten. Sie bilden im Norden und Nordosten Polens neun Religionsgemeinschaften, verrichten ihre Gebete in sechs Moscheen und leben seit Generationen friedlich mit ihren zumeist orthodoxen Nachbarn zusammen. Diese »Alt-Muslime« werden als ethnische Minderheit vom Staat materiell unterstützt.
Völlig anders ist jedoch die Situation der Tschetschenen, ebenfalls Muslime, die seit zwölf Jahren in Polen um politisches Asyl nachsuchen. Zunächst wurden sie als heldenhafte Kämpfer gegen das russische Imperium gefeiert, mit der Zeit und dem Anwachsen ihrer Zahl – zeitweilig waren es 30 000, derzeit rechnet man mit etwa 5000 – ließ die Begeisterung jedoch nach. Angestachelt vom Sejm-Abgeordneten Lech Kolakowski, Vertreter der Präsidentenpartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ist die Ablehnung gewachsen. Als »Faulenzer und Eckensteher« oder gar als »Taliban« beschimpft, sollen die Tschetschenen eben »raus«. In Lomza, nordöstlich von Warschau, wird im Juni auf Verlangen eines Teils der Bevölkerung ein Aufnahmezentrum für sie geschlossen. In der Regel nur mit »Duldungsstatus« in Polen, finden die Tschetschenen kaum Arbeit und werden von der kommunalen Sozialhilfe ausgehalten.
Die regierungsunabhängige Stiftung »Ocalenie« (Rettung) ist angesichts des Fremdenhasses in Lomza und in anderen Orten ratlos. Sie bittet in örtlichen Medien um Toleranz und Hilfe. Asyl kommt nach einem Beschluss des Obersten Verwaltungsgerichts von 2003 kaum in Frage, da jeder Tschetschene individuell beweisen muss, dass ihm in der Heimat Verfolgung drohen würde.
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