Die Kapitänin der »Revolution«

Antje-Friederike Herbst kommandiert in einer noch männerdominierten Branche einen Schwergutfrachter

  • Hermannus Pfeiffer, Hamburg
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Allerheiligsten von Hochseeschiffen, der Brücke, sind Frauen noch immer eine Seltenheit. Doch dies beginnt sich allmählich zu ändern. Auch in Deutschland.
Die Kapitänin der »Revolution«

Der Begriff »Kapitänin« fand erst vor zwei Jahren Eingang in den »Duden«. Für Antje Herbst ist das kein Problem. Die zarte Frau arbeitet in einem Beruf, der männerdominierter kaum sein könnte: in der Seefahrt. Was ist da schon ein verspäteter Eintrag im Duden?

Frau Herbst steht längst da drüber, auf der Brücke, als Boss einer Männercrew. Von hoch oben schaut die Kapitänin über ihre MS »Beluga Revolution« hinweg, 134 Meter plus 65 Zentimeter ist sie lang und damit größer als ein Fußballfeld. »MS« steht für Motorschiff. Und was für eines: Der Schwergutfrachter transportiert alles, was sperrig, schwer und eigentlich untransportierbar ist, bei Bedarf sogar riesige Kräne oder ganze Fabriken.

»Das hat mich von Anfang an gereizt – und tut es noch immer: keine homogene Ladung, keine Linienfahrt, immer etwas Neues«, strahlt Frau Herbst. Jede Ladung im Schwergutsegment erfordert eine sehr individuelle Planung und Behandlung, jeder Lade- und Löschvorgang ist einzigartig und stellt eine neue Herausforderung dar. Jede Reise ist somit auch ein spannendes Abenteuer für die gelernte Tischlerin.

Von Mäntyluoto nach Südchile

Die Bremer Reederei Beluga, für die die Kapitänin fährt, versorgt weltweit die Öl- und Gas-Industrie, beliefert Hersteller von Offshore-Windenergieanlagen, hilft beim Ausbau der Hafeninfrastruktur sowie bei der Errichtung und Modernisierung von Kraftwerken. Die 69 Spezialschiffe der Reederei holen gewaltige Containerbrücken aus Schanghai, liefern Dutzende Yachten nach Palma de Mallorca oder transportieren eine zerlegte Zellstofffabrik aus dem finnischen Mäntyluoto nach Südchile. Herbsts Frachter »Revolution« ist ausgerüstet mit zwei Ladekränen. So braucht die Crew nicht auf die teure Hafeninfrastruktur zurückgreifen und kann Fahrtgebiete bereisen, in denen es keine modernen Häfen gibt.

Ihre Jungfernfahrt als Kapitänin führte Frau Herbst von Triest nach Pakistan und China, es folgten Singapur, Durban, im Anschluss Südamerika, gefolgt von Houston und einem Törn über den Atlantik zurück nach Europa, wo Ende Juli 2009 in Bremen die Fahrt ihr Ende nahm. »Eine Traumreise«, sagte sie danach, »und eine Traummannschaft, die mich auf meiner ganz persönlichen Jungfernfahrt als Kapitänin begleitet hat«, ergänzt sie.

In die Wiege gelegt wurde der selbstbewussten Frau eine Karriere auf hoher See nicht. Sie wurde vielmehr im tiefsten Binnenland geboren, in Hannover. Gelernt von der Pike auf hat Antje-Friederike den Beruf der Tischlerin. Danach fuhr sie lange auf schnittigen Segelschiffen zur See: »Ich habe sieben Jahre in der Passagierfahrt auf Traditionsseglern verbracht. Davon war ich irgendwann müde.« Doch lockten sie nicht die Palmen der Südsee und die Pyramiden Ägyptens? Nein, nein, wiegelt die 43-Jährige ab. »Kreuzfahrtschiffe waren nie ein Traum für mich!«

Sie studierte statt dessen lieber Nautik in Rostock. Doch nicht jede, die dieses Studium beginnt, fährt später auch zur See und schafft es bis zum Kapitän. »Es wäre wünschenswert, wenn wir bald ein paar mehr werden, dann hätte die ›Exklusivität‹ mal ein Ende ... Aber die Ausbildung braucht eben ein wenig Zeit«, sagt Frau Herbst. Nach dem Studium folgt für die jungen Frauen (und Männer) zunächst eine oft langwierige Offizierslaufbahn; erst an deren Ende steht die Position des Kapitäns. »Wie lange man dafür braucht, ist sehr von der eigenen Person abhängig.«

Seit 2004 ist Frau Herbst bei der Beluga Shipping GmbH angestellt. Vorher fuhr sie kurze Zeit auf einem Containerschiff. Doch die bunten Stahlkisten fand sie eher langweilig. Die schwergewichtigen Herausforderungen in der Handelsschifffahrt reizten sie, erst recht die auf einem Spezialfrachter wie der »Revolution«, dem Typschiff der R-Serie von Beluga.

Kadetten in der Beluga Sea Academy

Zugleich führt Frau Herbst eines von sechs Ausbildungsschiffen der Flotte. In der 2004 gegründeten Beluga Sea Academy werden in Kooperation mit der Jadehochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth und der Hochschule Bremen jährlich über hundert »Kadetten« ausgebildet, zunächst auf speziellen Ausbildungsschiffen. Während des ersten Semesters eines Nautik- oder Schiffsbetriebstechnikstudiums absolvieren die angehenden Offiziere ein monatelanges Praktikum auf einem Schwergutfrachter. Auf dem extra eingebauten X-Deck befinden sich Doppelkammern für insgesamt acht Kadetten, eine Fachbibliothek und ein Seminarraum. Für den Unterricht fährt ein zusätzlicher Offizier mit.

Da guckt schon mal ein Lotse verdutzt, wenn er an Bord kommt. Doch die Mannschaft hat längst Vertrauen zu ihrer Kapitänin geschöpft. Die »Revolution« ist Hochtechnologe pur. Das Steuerrad auf der Brücke ist ein Joystick-ähnlicher Hebel und Computer spucken nautische Informationen im Sekundentakt aus. Derbe »Manpower« ist hier oben längst nicht mehr gefragt, sondern Spezialwissen, moderne Arbeitsorganisation und Fingerspitzengefühl. Frauen stehen also eigentlich alle Türen offen und so ist mittlerweile jeder fünfte Kadett in Deutschland weiblich.

Wie sieht der Alltag an Bord aus – immer um Punkt sechs aufstehen? »Ja, so ungefähr. Mein Tag beginnt am Morgen mit einem ersten Kaffee auf der Brücke zusammen mit dem Ersten Offizier, der dann Wache hat. So können wir in Ruhe schon mal ein wenig über dies und das sprechen, und ich werfe einen ersten Blick auf die Posteingänge usw.« Als Kapitänin sei sie immer auf »Stand-by«, denn es könne ja allezeit irgendetwas passieren, das den Chef verlangt. »Ich bin zu jeder Tages- und Nachtzeit verantwortlich und somit auch erreichbar.«

Doch selbst auf hoher See gibt es Feierabende und freie Zeiten. Die verbringt Frau Herbst gerne mit den drei Nautikern und drei technischen Ingenieuren. »Aber nicht jeden Tag.« An Land gehe man ja auch nicht jeden Abend aus, und schon gar nicht dauernd mit seinen Arbeitskollegen. »Oder?«, fragt sie schelmisch. Sie liest viel, Videos gibt es auch an Bord zu sehen, und sie hört gerne Musik.

Zu der Mannschaft ist der Kontakt eng. Die Kapitänin ist bekannt und beliebt für ihren kooperativen Führungsstil. »Ich spreche ja nicht nur mit Offizieren.« Die achtköpfige Mannschaft setzt sich in erster Linie aus Ukrainern, Rumänen und Russen zusammen. Man verständigt sich auf Englisch an Bord.

Ein Törn auf hoher See dauert bei Beluga vier bis fünf Monate. Danach folgen zwei bis vier Monate Heimaturlaub. Diesen verbringt Frau Herbst gerade in Hannover zu Hause oder in der Karibik. Im Frühjahr geht es wieder auf große Fahrt mit der »Revolution«. Der Kontakt zu Freunden und Familie ist dann wieder ein großes Thema. Telefonieren mit der Heimat per Videokonferenz, auf Denglisch »Skypen«, können die Seeleute nicht. Aber E-Mails verschicken. »Was schon eine große Verbesserung gegenüber den Zeiten der guten, alten handgeschriebenen Briefe ist.«

Bekanntschaften fallen aus

Wie bei männlichen Seeleuten stellt sich die Frage, wie der Job mit dem Privatleben zu vereinbaren ist. »Wenn man in seinem Leben die richtigen Menschen getroffen hat, die dies mittragen, ist es überhaupt kein Problem mit Freundschaften und Familie«, meint Frau Herbst. »Was wegfällt – zumindest bei mir – ist ein Kreis von ›Bekanntschaften‹: Menschen, die man eben nicht so häufig trifft.« Doch das muss kein Nachteil sein.


Frauen an Bord

Seemänner sind oft abergläubisch. »Unnerröck an Bord – dat gifft Malheur«, lautet der uralte Seemannsglaube. Jahrhunderte lang hielt sich das Vorurteil, dass Frauen Krankheiten und Seenot anlocken würden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durften sie Essen servieren und Kabinen putzen, das Funkgerät bedienen oder als Schiffsärztin an Bord gehen.

Die Brücke aber blieb tabu. Ausnahmen bestätigen die Regel: 1943 machte Annaliese Teetz unter »großem Propagandarummel der Nazis« ihr Steuermannspatent, berichtet Ursula Feldkamp vom Deutschen Schifffahrtsmuseum. 1979 folgte als erste Kapitänin Ulrike Münster, mit »einer heftigen Grundsatzdiskussion im Gefolge«.

Erst in allerjüngster Zeit enterten Frauen das Allerheiligste auf dem Schiff. Laut dem Reederverband gab es 2008 unter etwa 3500 deutschen Nautikern fünf Kapitäninnen und drei Dutzend Offizierinnen. Der Anteil dürfte deutlich steigen: Unter den eingeschriebenen Nautik-Studierenden liegt die Frauenquote bei 20 Prozent – und die schließen meist mit besseren Noten ab als ihre männlichen Kommilitonen, berichtet Professor Willi Wittig. hape

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