Münchener Tunnelblicke

In Bayerns Hauptstadt wurde lange um ein riesiges S-Bahn-Projekt gefeilscht. Mit jähen Wendungen mancher Akteure

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 5 Min.
S-Bahn-Züge, die auf sich warten lassen; S-Bahn-Züge, die wegen einer Störung mitten auf der Strecke liegen bleiben; S-Bahn-Züge, die wegen Gleissperrung gar nicht abfahren – wovon der Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin ein Lied singen kann, ist auch in München nicht unbekannt. Doch damit soll in der bayerischen Landeshauptstadt nun Schluss sein. Nach mehr als einem Jahrzehnt des Wägens und Wendens der Argumente und Konzepte haben sich die verantwortlichen Gremien auf eine Lösung für den störanfälligen S-Bahnverkehr in München entschieden und ein milliardenschweres Großprojekt auf den Weg gebracht.

Sowohl das bayerische Kabinett als auch der Münchner Stadtrat stimmten dieser Tage für den Bau eines zweiten S-Bahn-Tunnels durch die Münchner Innenstadt und für eine schnellere Flughafenanbindung. Letztendlich fehlt noch die Entscheidung des Bayerischen Landtags, doch hier wird keine Überraschung erwartet. Als Jahrhundertprojekt bezeichnete Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) dieses Zukunftskonzept für den Bahnknoten München, dessen Kosten nach Aussagen von Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sich auf 2,9 bis 3,4 Milliarden Euro belaufen werden. Der Baubeginn für das Projekt, das die Nahverkehrsprobleme Münchens lösen soll, wird laut Plan 2011 sein.

Berufung auf Olympia

S-Bahnhof München Laim: Wer von hier aus einen Zug Richtung Innenstadt besteigt, passiert zuerst den neu erbauten Haltepunkt »Hirschgarten«, bevor die Bahngleise hinter der Hackerbrücke in den Tunnel führen, der quer durch das Herz der Landeshauptstadt führt. Über 2,5 Millionen Menschen leben im Einzugsbereich der S-Bahn, die im Zuge der Olympischen Sommerspiele 1972 entstand, als die damals bestehenden Vorortbahnen zu einem einheitlichen elektrifizierten Verkehrssystem gebündelt wurden. Herzstück war die Tunnelstrecke vom Hauptbahnhof bis zum Ostbahnhof.

Jetzt sollen erneut die olympischen Ringe als Anschubhilfe für das Verkehrs-Zukunftskonzept dienen. Der Ausbau der Bahnstrecken wird nun in Zusammenhang mit der Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2018 gebracht, was freilich auch den Zeitkorridor für die Realisierung der Ausbau-Pläne bestimmt.

Diese Stammstrecke von München Laim durch den Innenstadttunnel ist das Nadelöhr des gesamten S-Bahn-Verkehrs, der durch kleinste Störungen lahmgelegt werden kann. Um die Kapazität des Tunnels zu erhöhen, wurde ab 2003 auf der Strecke ein neues Signalsystem installiert, diese Technik ermöglichte ab 2004 ein Fahren auf elektronische Sicht, wodurch sich der Regelbetrieb von 24 auf 30 Züge pro Stunde erhöhte.

Entlastung soll nun ein zweiter, 7,5 Kilometer langer Tunnel bringen, der zunächst nördlich, ab Hauptbahnhof dann südlich der bestehenden Stammstrecke verläuft und zum Ostbahnhof führt. Als Haltestellen sind nur der Hauptbahnhof und Marienplatz (Marienhof) vorgesehen, was bei der Querung der Innenstadt eine um acht Minuten kürzere Fahrzeit bedeutet.

Der neue Tunnel, so Fachleute, wird ein technisch herausragendes Bauprojekt werden, das in einer Tiefe von immerhin 40 Metern durch den städtischen Untergrund führt. Der bestehende Tunnel liegt nicht einmal halb so tief. Für die Fahrgäste bedeutet dies freilich lange Wege über die Rolltreppen, bevor sie wieder an das Tageslicht kommen.

S wie Seehofer

Die gefallene Tunnel-Entscheidung für die zweite Stammstrecke bedeutet das Aus für eine Alternativ-Lösung über den Südring. Dabei ging es um den Bau einer zweigleisigen S-Bahn-Trasse entlang der bestehenden Eisenbahnverbindung im Münchner Süden.

Ein Gutachten des Wirtschaftsministeriums bescheinigte dieser Variante die technische und betriebliche Machbarkeit, konstatierte aber zugleich ein schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis (die Kosten wurden auf 1,3 Milliarden Euro geschätzt), eine geringe Entlastung der bestehenden Stammstrecke und keine »schnelle Erreichbarkeit der zentralen Aufkommensschwerpunkte«, also des Stadtzentrums. Zudem könne die frühestmögliche technische Inbetriebnahme erst 2023 erfolgen.

Tunnel-Lösung oder Südring, das waren auch die beiden Hauptpole, zwischen den sich die politischen Kräfte im Laufe der Debatte auf das munterste mischten, sich festlegten, dann wieder auseinandergingen. Auch wurden diverse zusätzliche Varianten ins Spiel gebracht.

Einig waren und sind sich bei diesem verkehrstechnischen Großprojekt die bayrische Staatsregierung und die Stadtrats-SPD mit Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Die Stadt hat zwar nur beratende Funktion, weil die Federführung für die Bahn in der Staatskanzlei liegt (Ude steht für U-Bahn, Seehofer für S-Bahn, so der Oberbürgermeister scherzhaft in der entsprechenden Stadtratsdebatte), aber mitzureden haben die Münchner natürlich schon.

Bei der CSU gestaltete sich das Abstimmungsverhalten nicht unkompliziert. Während das bayerische Kabinett und die Landtagsfraktion die Tunnel-Lösung forderte, mussten die Münchner Christdemokraten von ihren Parteifreunden lange gezogen werden, bis sie schließlich hinsanken. Bis dahin galt für die Münchner CSU der Tunnel als »völlig unbefriedigende Lösung«, wie es Münchens CSU-Chef Otmar Bernhard formulierte. Erst die Warnungen aus der Staatskanzlei, dass München gegebenenfalls bei den Zuschüssen leer ausgehe, wenn es keine breite Zustimmung gebe, gab den Ausschlag, im Stadtrat mehrheitlich für den Tunnel zu stimmen. Bei der FDP sorgte das Verkehrsprojekt für ähnlich unterschiedliche Meinungsbilder im bayerischen Landtag und im Münchner Stadtrat.

Auch bei den Grünen bedurfte es verschiedener Bremsmanöver und erneuter Weichenstellungen, bis sie in den zweiten Tunnel einfuhren. Denn die grüne Basis setzt eigentlich auf den Ausbau des Südrings. Auch bestanden Sicherheitsbedenken gegen den zweiten Tunnel in einer Tiefe von 40 Metern. Zudem sei der Tunnel ein »Geldstaubsauger«, der für den dringlich erforderlichen Ausbau der Außenstrecken kein Geld mehr übrig lasse. Denn ein Großteil der Störungen entstehe nicht im Stammtunnel, sondern auf den Mittel- und Außenästen.

Finanzierung unklar

Erst stimmten die Grünen also für den eigenen Antrag, den Südring auszubauen. Als dieser erwartungsgemäß abgelehnt wurde, votierte die Fraktion mit drei Ausnahmen für den Tunnel, der so mit einer satten rot-schwarz-grünen Mehrheit im großen Sitzungssaal des Münchner Rathauses befürwortet wurde.

Nach dem endgültigen Votum des Landtages im kommenden April geht es um die Finanzierung des Großprojektes. Vom Gesamtpaket in der Höhe von rund 3 Milliarden Euro tragen Bund und Freistaat die Hälfte für den Bau der Tunnel-Röhre, wobei der 40-prozentige Bayern-Anteil bereits im Haushalt gebucht sei, so Verkehrsminister Zeil. Weiteres Geld will man in Berlin mit einem Sonderbudget für Olympia 2018 flüssig machen. Was freilich momentan noch Wunschdenken ist.

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