Zeugnisse von Hoffnung und Enttäuschung
In Brüssel trafen sich Friedensaktivistinnen aus dem Nahen Osten – zum zweiten Mal nach 20 Jahren
Am Eingang des Universitätsgebäudes hängt ein junger Mann ein Plakat ab, als wir durch die breite Glastür treten. Unsicher schaut er uns an. »Wir kommen zu der Veranstaltung, für die Sie das Plakat in der Hand halten.« Ein Lächeln hellt sein Gesicht. »Dann folgen Sie mir einfach die Treppe hinauf.«
Ein Stockwerk höher ist es noch genau so leer wie im Eingangsbereich. Der Uni-Betrieb an der Freien Universität Brüssel hat abends kurz nach halb acht geendet. Birgit Daiber, die Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel, setzt sich an einen der Tische auf der Empore des Veranstaltungssaals. »Vor 20 Jahren haben sich hier in Brüssel das erste Mal israelische und palästinensische Frauen getroffen und über die Situation in ihrer Heimat diskutiert.« Vor 20 Jahren, so erfahre ich, war es auf politischer Ebene noch verboten, dass sich Frauen in den Nahostgebieten trafen. Es war die Zeit der ersten Intifada, des Aufstandes der Palästinenser gegen die Israelis. Doch die Bereitschaft zum Dialog bestand. Zumindest ein paar Frauen wollten Aussöhnung zwischen ihren Völkern. Insgesamt 40 von ihnen, 20 von jeder Seite, konnten damals nach Brüssel reisen. Die Friedensaktivistin Simone Susskind hatte sie eingeladen.
Die Frauen, die 20 Jahre nach dem ersten Treffen wieder nach Brüssel gekommen sind, um immer noch über die gleiche Problematik zu sprechen – die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern –, absolvieren gerade ein dreitägiges Lobby-Programm für ihr Anliegen. Am Vormittag haben sie sich mit hochrangigen Vertretern der EU-Kommission und EU-Abgeordneten getroffen, darunter Helmut Scholz von der LINKEN. »Da wurde Klartext gesprochen«, erzählt Marlis Gensler von der Luxemburg-Stiftung. Was genau gesagt wurde, kann sie nicht mehr berichten – denn jetzt betreten die Protagonisten des Abends die Bühne.
Birgit Daiber übernimmt die Vorstellung. »Leider musste Hanan Ashrawi absagen, weil gerade heute die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, im Gaza-Streifen ist«, beginnt sie. Auf die palästinensische Politikerin hatten sich einige im Saal gefreut. Doch für Ersatz ist gesorgt. Die Initiatorin der Brüsseler Frauentreffen, Simone Susskind, sitzt auf dem Podium. Ebenfalls Naomi Chazan, ehemalige Abgeordnetensprecherin der Knesset, des israelischen Parlaments. »Sie kann sich in Israel heute kaum noch auf offener Straße bewegen, wird attackiert, weil sie angeblich ihr Land verraten will«, hatte mir Daiber erzählt. Auch Luisa Morgantini, ehemalige Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Sarai Aharoni von der Universität Jerusalem, Amal Kreisheh und Hania Bitar, die erste für eine Frauengruppe, die zweite für eine Jugendorganisation in Palästina aktiv, sind zugegen. Und Thomas Dupla, Leiter des Arbeitsbereichs südlicher Mittelmeerraum / Mittlerer Osten der EU-Kommission.
Nur wenige gehen auf den feministischen Gesichtspunkt der Debatte ein, den vor allem Aharoni und Kreisheh angesprochen haben. »Die Frauen in Israel haben nicht verstanden, dass Frieden mit den Palästinensern ein wichtiger Schritt für ihre eigene Befreiung darstellt«, hatte die 37-jährige Aharoni gesagt. Insgesamt bieten die Berichte eine Bestandsaufnahme dessen, was seit 20 Jahren im Nahen Osten passiert ist. Viel Erfreuliches ist nicht dabei. »Eine so rechte Regierung wie jetzt hatten wir noch nie«, so Chazan. Was kann man dazu kommentieren? Eine konträre Debatte kommt deshalb auch nicht auf. Trotzdem folgen die Zuhörer aufmerksam den Zeugnissen der Frauen.
Mit der Höflichkeit eines erfahrenen EU-Beamten beantwortet Dupla die bohrenden Fragen, was denn die EU unternehme, um den Konflikt im Nahen Osten endlich zu lösen. Inhaltlich ist es nicht viel, was er zu sagen hat. »Es ist eine wichtige Geste, dass Frau Ashton heute in Gaza ist«, nimmt Chazan den Mann und Europa in Schutz. Sagt aber auch: »Jede Minute, die vergeht, in der sich nichts bewegt, ist eine Minute zu viel.«
Die Worte der alten Dame wirken noch nach, als sich die Podiumsteilnehmer erheben. Lange stehen die Frauen noch mit Besuchern zusammen, reden, diskutieren. Als ob es eine große Familie wäre, die sich nach 20 Jahren wieder getroffen hätte.
Women speak out -
unter diesem Titel fand Mitte März in Brüssel eine Veranstaltungsreihe mit israelischen und palästinensischen Friedensaktivistinnen statt. Angeknüpft wurde damit an das gleichnamige Frauentreffen vom Mai 1989.
Neben einem Seminar mit Friedensforscherinnen sowie Treffen mit Politikern und Vertretern der EU-Kommission fand eine öffentlichen Debatte statt. Zudem diskutierten die Frauen über den Stand der Entwicklung der Region und über neue Aktionspläne. Das Brüsseler Treffen wurde von der EU-Kommission, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem International Women's Committee organisiert.
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