»Machtausübung, Verwirrung stiften«
In Hamburg wurden erneut Autos angezündet
Die Täter kamen nachts gegen drei Uhr. Dann brannten im Hamburger Stadtteil Groß Flottbek zehn Autos. Der Espellohweg im Hamburger Westen war bisher eine ruhige Straße, eine Sackgasse. Die Straße ist das, was man gemeinhin eine bürgerliche Wohngegend nennt. Die Anwohner sind geschockt, dass quasi über Nacht die Gewalt in ihr bisher ruhiges Viertel einbricht. Nur kurz vorher waren im vornehmen Stadtteil Harvestehude sechs Fahrzeuge der Marken BMW, Mercedes, Audi und VW angezündet worden. Damit wurden seit Jahresbeginn in Hamburg mehr als 50 Autos von unbekannten Tätern abgefackelt.
Bei den Angaben handelt es sich um Schätzungen, weil es offizielle Zahlen nur für politisch motivierte Brandstiftungen gibt. Für die übrigen Brandstiftungen unterscheidet die Polizeistatistik nicht »nach Objekten«, wie es in einer Senatsantwort auf eine Anfrage der SPD heißt. Angezündete Häuser und in Brand gesteckte Autos landen also in derselben Statistik und werden damit nicht unterschieden.
Diese Veröffentlichungspraxis kritisiert der innenpolitische Sprecher der oppositionellen Hamburger SPD, Andreas Dressel. Er fordert vom schwarz-grünen Senat eine Offenlegung der Zahlen der gebrandschatzten Autos. Seine Vermutung: »Der Senat möchte eine Diskussion über die schlechte Aufklärungsquote verhindern.«
Auch die Polizei spekuliert
Schätzungen zufolge wurden zwischen 2004 und Oktober 2009 in Hamburg etwa 692 Autos angezündet, davon 2006 bis 2009 insgesamt 45 Fahrzeuge aus politischen Motiven. Die Täter konnten in den meisten Fällen nicht ermittelt werden. Lediglich im Stadtteil Eilbek wurde 2009 ein Mann festgenommen, der zwei Pkw angezündet hatte. Das Motiv: Eifersucht auf einen Nebenbuhler.
Eindeutig politisch motiviert waren die Brandstiftungen an geparkten Polizeiautos im Dezember 2009. Vermummte griffen dabei eine Polizeiwache im Szenestadtteil Schanzenviertel an und steckten zwei Einsatzwagen in Brand. Auch zwei zivile Zollfahrzeuge wurden angezündet.
»Ein Viertel der Brandstiftungen an Pkw sind politisch motiviert, drei Viertel haben keinen politischen Hintergrund«, sagt SPD-Politiker Dressel. Er fordert mehr Streifendienste in den betroffenen Stadtteilen, vor allem im Hamburger Westen und um die Alster herum. Hier liegen Hamburgs »bessere« Viertel. Über die Motive der »unpolitischen« Brandstifter kann auch Dressel nur mutmaßen. »Das Problem: Es wurde bisher keiner gefasst.« Und damit konnte auch bisher niemand zu seinen Motiven befragt werden, warum er fremdes Eigentum angezündet habe. Es mögen »multiple Ursachen« eine Rolle spielen, mutmaßt Sicherheitsexperte Dressel.
Auch bei der Polizei wird über die Frage spekuliert, was die Täter antreibt. »Innere Leere, Lust an der Gewalt, Rücksichtslosigkeit ähnlich wie bei Hooligans«, vermutet Polizeisprecher Holger Vehrens. Besonders die reißerische Berichterstattung würde viele Nachahmungstäter erzeugen, so Vehrens. Von Teilen der Politik wird das ähnlich gesehen. »Aus meiner Sicht ist das ein Nachahmerproblem«, sagt Kai Voet van Vormizeele, innenpolitischer Sprecher der Hamburger CDU-Fraktion in der Bürgerschaft. Als »Vorbild« für die Hamburger Täter gilt demnach die Welle von Autobrandstiftungen in Berlin.
Bestätigung durch Medien
Nach Auffassung des Hamburger Trendforschers Peter Wippermann würden die Täter – ähnlich wie Graffiti-Sprayer – vor allem die mediale Aufmerksamkeit suchen. Den Tätern ginge es um »Machtausübung, darum, Unklarheiten zu setzen, Verwirrung zu stiften«. Das habe »auch etwas mit Selbstfindung zu tun«. Aus seiner Sicht »findet die Gewalt dort statt, wo die Täter auch zu Hause sind«. Die Täter suchten den Kick, die Aufregung und die öffentliche Bestätigung. Wurden früher noch Papierkörbe angezündet, waren es später Müllcontainer, die brannten. »Jetzt sind es Autos, als Symbol bürgerlicher Freiheit.«
Bestätigung erfahren die Täter über die Medien, die über sie berichten. Dabei spiele das Internet, wo man die Bilder und Videos von den eigenen Taten rund um die Uhr sehen und sich herunterladen kann, inzwischen eine immer größere Rolle. Eine andere Interpretation bietet Sebastian Scheerer. Den Tätern ginge es danach um die »Statusaufwertung« innerhalb ihrer Gruppe, erklärt der Hamburger Professor für Kriminologie. Allerdings ginge es ihnen auch um eine möglichst große Außenwirkung.
Das Phänomen der Brandstiftung an Fahrzeugen habe es allerdings schon früher gegeben, gibt CDU-Politiker van Vormizeele zu bedenken: »Wir hatten früher jährlich rund 130 Brandstiftungen an Autos, insofern gibt es nicht wesentlich mehr Taten als vorher.« Allerdings sei die Wahrnehmung nach den »politischen« Brandstiftungen eine andere als früher. Für die Betroffenen spiele diese Debatte zunächst erst mal keine Rolle, stellt Innenexperte Dressel fest: »Den Opfern ist es wohl ziemlich egal, ob die Brandstifter aus politischen oder nicht-politischen Motiven gehandelt haben.«
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