Pilotenstreik: Wer hat Anspruch auf Ausgleichszahlung?
Rechtsprechung
u Laut der EU-Verordnung (Nr. 261/2004) über »Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste« können diese von einer Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung (250 bis 600 Euro, je nach Entfernung) verlangen, wenn der von ihnen gebuchte Flug annulliert wurde. Der Bundesgerichtshof und das Handelsgericht Wien wandten sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), um feststellen zu lassen, ob das auch für erheblich verspätete Flüge gilt. Sie hatten über Klagen von Fluggästen zu entscheiden, die an ihrem Zielflughafen mit einer Verspätung von 25 bzw. 22 Stunden angekommen waren und deshalb auf einer Ausgleichszahlung bestanden.
Die steht ihnen zu, entschied der EuGH (C-402/07 und C-432/07). Begründung: Fluggäste, die mit erheblicher Verspätung befördert werden, verlieren viel Zeit. Sie erleiden also den gleichen Schaden wie Fluggäste, deren Flug kurzfristig »gecancelt« wird.
Wenn ein Flug annulliert werde, hätten die Fluggäste selbst dann Anspruch auf Entschädigung, wenn ihnen die Fluggesellschaft einen Ersatzflug anbiete – vorausgesetzt, sie hätten, verglichen mit dem ursprünglich gebuchten Flug, drei Stunden oder mehr verloren. Fluggäste verspäteter Flüge, die ihr Endziel auch erst drei oder mehr Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreichten, müssten genauso behandelt werden.
Nur wenn die Verspätung bedingt sei durch außergewöhnliche Umstände, die eine Airline durch zumutbare Maßnahmen nicht vermeiden könne, entfalle der Ausgleichsanspruch der Fluggäste. Technische Probleme am Flugzeug gehörten dazu allerdings nicht: Flugzeuge sorgfältig zu warten, gehöre zum Alltagsgeschäft einer Fluglinie.
Viele Fluggäste haben den schneereichen Winter mit verspäteten und ausgefallenen Flügen noch in schlechter Erinnerung, da sorgt die nächste Hiobsbotschaft für Verunsicherung: Infolge eventueller Pilotenstreiks sollen viele Flüge ausfallen oder sich erheblich verspäten. Die Rechte betroffener Reisender fasst Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale Brandenburg so zusammen:
»Bei streikbedingten Änderungen im Flugablauf haben Passagiere Anspruch auf rechtzeitige Information, Betreuung vor Ort und Organisation ihrer Weiterreise.« Hat die Airline nicht alles Zumutbare für eine Absicherung der Beförderung getan, muss sie darüber hinaus eine Entschädigung zahlen. Das gilt nach aktueller Rechtsprechung schon bei einer Verzögerung der geplanten Ankunft nach Abflugverspätung um mindestens drei Stunden. (BGH-Urteil vom 18. Februar 2010, AZ: Xa ZR 95/06).
Was man einer Airline zumuten kann, ist allerdings umstritten – einen funktionierenden Sonderflugplan oder eine Ersatzbeförderung mit der Bahn hält die Verbraucherzentrale Brandenburg zum Beispiel für ausreichend. Welche Rechte ein betroffener Reisender durchsetzen kann, muss in jedem Einzelfall geprüft werden und wird möglicherweise auch von Gerichten unterschiedlich beurteilt. Zudem unterscheiden sich die gesetzlichen Vorschriften für »Nur-Flug-Buchungen« und Flüge als Bestandteil einer Pauschalreise. Juristin Fischer-Volk empfiehlt folgende Anhaltspunkte für eine erste Orientierung:
– Nach EU-Recht muss die Airline in jedem Fall ab einer Abflugverspätung von zwei Stunden zunächst kostenlos für Getränke, Mahlzeiten, Telefonate sowie zwei E-Mails oder Faxe aufkommen.
– Ab einer Verspätung von fünf Stunden können »Nur-Flieger« stornieren und den Ticketpreis zurück verlangen. Pauschalreisende können den anteiligen Tagesreisepreis ab der 5. Verspätungsstunde um fünf Prozent für jede weitere Verspätungsstunde gegenüber ihrem Reiseveranstalter mindern. Auch wenn dem Pauschalurlauber durch erhebliche Flugbeeinträchtigungen ein vollwertiger Urlaubstag verloren geht, darf er den Preis angemessen herabsetzen.
– Bieten bei Flugausfall weder Airline noch Veranstalter binnen weniger Stunden eine Ersatzbeförderung an, dürfen Reisende auch zur Selbsthilfe greifen und sich eine Ersatzbeförderung im angemessenen Kostenrahmen besorgen.
– Ist eine Weiterreise erst am nächsten Tag möglich, muss die Airline für eine Hotelübernachtung und den Transfer sorgen. Wird der Flug streikbedingt gänzlich gestrichen, kann der Reisende von der Airline entweder eine kostenlose Umbuchung auf einen Ersatzflug oder die Erstattung des Ticketpreises verlangen. Pauschalurlauber können in diesem Fall stornokostenfrei vom Reisevertrag zurücktreten und den Reisepreis zurück verlangen. Ein Anspruch auf Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreuden besteht allerdings nicht, da der Veranstalter Streikfolgen im Regelfall nicht zu vertreten hat.
– Warten Reisende dagegen ohne Informationen und Betreuung vergeblich am Airport auf ihre Weiterreise oder Unterbringung und müssen diese schließlich auf eigene Kosten selbst in die Hand nehmen, haben sie auch im Streikfall Anspruch auf Schadenersatz gegenüber der Airline beziehungsweise dem Veranstalter.
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