Doha – Aufbruch mit Selbstbewusstsein
Die Metropole Katars ist Arabische Kulturhauptstadt 2010
»Die arabische Kultur ist unsere Nation, Doha ist ihre Hauptstadt.« Mit diesem Slogan begrüßt Doha, die Hauptstadt des Golfstaats Katar, Besucher und Einwohner, seit die Stadt Anfang des Jahres zur Arabischen Kulturhauptstadt 2010 gekürt wurde. Auf gigantischen Plakatwänden nähert sich dem Betrachter eine Reiterstaffel aus den Tiefen der Wüste, die traditionell arabisch gekleideten Männer haben ihre weißen Kopftücher über eine schwarze Kordel zurückgeschlagen, jeder trägt eine Standarte. Katar führt die Staffel an, gefolgt von Palästina, Syrien, Algerien und den anderen Fahnen der arabischen Staaten. In Magentarot und Weiß leuchtet die Flagge Katars, rot für das Blut, das in vielen Kriegen vor allem Ende des 19. Jahrhunderts vergossen wurde, weiß für Frieden.
Anders als Damaskus und Jerusalem, die 2008 und 2009 den Titel der Arabischen Kulturhauptstadt trugen, ist Doha eine ultramoderne Stadt. In der West Bay, am Ende der Strandpromenade (Corniche), ragt eine Silhouette modernster Gebäude in den Himmel, deren architektonische Waghalsigkeit atemberaubend ist. Viele der neu angelegten, mehrspurigen Straßen werden von blumengeschmückten Mittelstreifen geteilt, entlang der Randstreifen grünen schnell wachsende Busch- oder Baumarten, die durch ein Labyrinth unterirdisch verlegter Schläuche dreimal täglich bewässert werden.
Die ungezählten Rondells mit Kreisverkehr sind nicht nur phantasievoll bepflanzt, sondern tragen auch markante Namen, die die Orientierung erleichtern: Am Fernsehkreisverkehr hat der Nachrichtensender »Al Dschasira« seine Basis, am Theater-Kreisverkehr steht das Nationaltheater von Katar, und am Oryx-Kreisverkehr thronen zwei Statuen anmutiger Wüstenantilopen hoch über dem Verkehrsstrom auf einem Sockel.
Der Emir von Katar, Scheich Hamad Bin Khalifa al-Thani verzichtet auf eine Standarte an seinem Wagen, mit dem er jeden Morgen zum Diwan gebracht wird, dem Regierungssitz in unmittelbarer Nähe der Strandpromenade. Dennoch weiß jeder Autofahrer, wann der Emir unterwegs ist, denn die feuerroten Fahrzeuge seiner persönlichen Sicherheitsgarde stehen an jeder Kreuzung, jedem Kreisverkehr und entlang der »Straße des Emirs« und sorgen dafür, dass die Fahrt störungsfrei verläuft.
Fortschritt und Wohlstand, Doha manifestiert auf den ersten Blick die Vision von Scheich Hamad, dessen Familie das Land seit Mitte des 19. Jahrhunderts regiert. Noch vor 80 Jahren bargen Taucher vor den Küsten kostbare Naturperlen aus den Tiefen des Meeres. Doha war damals nicht viel größer als ein Marktflecken. Ende der 30er Jahre entdeckte man Öl, Industrie siedelte sich an, die ersten Flugzeuge landeten auf einer sandigen Strandpiste. 1971 wurde Katar unabhängig von Großbritannien, trat der Arabischen Liga und den Vereinten Nationen bei. Doch erst seit 1995, als der damals 43-jährige Scheich Hamad seinen Vater zum Rücktritt zwang, wird das Land im Sturmschritt entwickelt. Katar bekam eine Verfassung und ein Parlament, der Reichtum aus Öl- und Gasexporten floss fast ausschließlich in den Aufbau der nationalen Infrastruktur.
Den Reichtum schaffen die anderen
Die Wüste erblühen lassen, daran arbeiten Heerscharen asiatischer Gastarbeiter Tag und Nacht. In blauen Overalls, das Gesicht verhüllt gegen Sonne und Staub, bauen sie Stadien, Krankenhäuser und Wohnanlagen, Straßen und Kanalisation, Strom- und Wasserleitungen, Entsalzungs-, Öl- und Gasförderanlagen, Hotels und Gotteshäuser, Einkaufszentren, Schulen, Universitäten. Seit Jahren liegen die Wachstumsraten im zweistelligen Bereich, für 2010/11 rechnet Katar mit einem Wirtschaftswachstum von 16 Prozent, der Internationale Währungsfonds spricht sogar von 18,5 Prozent. 40 Prozent des Jahresbudgets von mehr als 30 Milliarden US-Dollar gehen in den Ausbau der Infrastruktur, auch außerhalb der Hauptstadt.
An der Autobahn Nr. 1, die von Doha in den Norden führt, von wo eine Brücke zum benachbarten Inselstaat Bahrain geplant ist, wird rund um die Uhr gebaut. Unweit der »Großen Nordstraße« liegt der alte Fischereihafen Al Khawr, der weitgehend im traditionellen Baustil erhalten ist. Die Häuser sind ein-, höchstens zweistöckig gebaut, umgeben von hohen, mit farbenprächtigen Bougainville-Kletterpflanzen überwachsenen Mauern, hinter denen Palmen, Eukalyptus- und Sidrabäume den Blick auf die Privatsphäre verdecken.
Der Sidrabaum gilt als eines der Wahrzeichen Katars, unter seinen weit ausladenden dicht begrünten Zweigen kamen einst die Stammesältesten zusammen, um wichtige Entscheidungen zu diskutieren. Im Hafen von Al Khawr liegen wie seit Jahrhunderten dicht an dicht die Daus – Fischerboote – mit ihren Fangnetzen und Reusen.
Aber auf den Booten ist kein Katari zu sehen, ausschließlich Ausländer leben und arbeiten hier. Wie die meisten anderen Gastarbeiter kommen sie von Vertragsfirmen vermittelt ins Land und erwirtschaften den Reichtum Katars.
Nur etwa ein Viertel der rund 1,5 Millionen Einwohner des Golfstaats sind Kataris. Die Mehrheit stammt aus anderen arabischen Ländern, aus Indien, Pakistan und Iran. Wie Hassan Ali, der eigentlich aus Ostiran stammt, aber aus irgendeinem Grund einen pakistanischen Pass hat. Als Wächter arbeitet er bei den Barzan-Türmen, einer alten Wehranlage zwischen Al Khawr und Doha. Barzan bezeichnet einen hoch gelegenen Ort, und von den 16 Meter hohen Türmen konnte man noch vor 100 Jahren ankommende Schiffe im Golf beobachten und die Mondphasen bestimmen, was wichtig für den islamischen Kalender ist. Heute blickt man auf Baustellen, so weit das Auge reicht, die Bucht ist versandet, Meer ist weit und breit nicht mehr zu sehen.
Der rasende Fortschritt Katars findet nicht immer die Zustimmung der religiösen Elite, die zu den Salafisten zählt, einer Strömung der streng sunnitischen Wahhabiten. Sie tun sich schwer mit der fast allgegenwärtigen Präsenz der Gemahlin des Emirs, Sheikha Mozah Bint Nasser al-Missned, die mit ihrer durch eine Ölquelle finanzierten Katar-Stiftung die Bildung im Land auf die Überholspur gebracht hat.
Die öffentlichen Auftritte der Sheikha stehen in starkem Widerspruch zu der konservativen, von Männern dominierten Lebensweise der Kataris, doch Mädchen und junge Frauen sehen in ihr ein großes Vorbild. Da aber in den Eliteschulen und Universitäten Katars fast ausschließlich in Englisch unterrichtet wird, sprechen viele junge Kataris heute zwar fließend Englisch, haben aber Mühe, ein arabisches Buch zu lesen oder Arabisch zu schreiben.
US-Soldaten – kaum zu sehen, aber doch da
Damit die arabische Kultur gepflegt und erhalten bleibt, rücken Museen, Denkmäler und Bibliotheken neben technischen Erneuerungen immer mehr in den Vordergrund. Ein solches Projekt ist die »Bibliothek des Erbes« der Katar-Stiftung, die dafür sorgt, dass der Beitrag der Araber zu Wissenschaft und Kultur nicht in Vergessenheit gerät. Rund 85 000 Bücher, Manuskripte und Landkarten werden digitalisiert und sollen zukünftig Historikern und Islamwissenschaftlern aus aller Welt zur Verfügung stehen. In Schulen und Kindergärten wird die arabische Sprache gefördert, selbst im populären Kinderkanal von »Al Dschasira« wird Hocharabisch gesprochen, um Kindern und Jugendlichen ihre Muttersprache spielerisch zu vermitteln.
Kaum zu sehen und doch vorhanden ist das US-Militär, das seit 1998 sein Hauptquartier für den Mittleren Osten in Katar hat. Die völkerrechtswidrige Invasion in Irak 2003 wurde von hier kommandiert. Die Militärbasis ist auf keiner offiziellen Landkarte verzeichnet, und außerhalb des Lagers sind uniformierte US-Soldaten nie zu sehen. In Zivil unterscheiden sie sich kaum von anderen Touristen, und so kann man nur vermuten, um wen es sich bei den kleinen Gruppen kahlgeschorener Männer in Freizeitkleidung handelt, die durch die klimatisierten Einkaufszentren ziehen oder in einem der vielen Cafés im restaurierten Suk Wakif Orangensaft nippen.
»Katar hat sich freiwillig einer Besatzung unterworfen«, erklärt eine Mitarbeiterin von »Al Dschasira« die ungeliebte Anwesenheit der Truppen. Sie seien nicht zuletzt »Schutz gegen Saudi-Arabien«. Zudem brauche der Emir weiterem Drängen aus Washington nicht nachzugeben.
Für die Haltung des Emirs steht der Bericht über einen Besuch bei US-Vizepräsident Dick Cheney 2004 in Washington. Als dieser den Emir mit einer Liste von Beschwerden über die Berichterstattung von »Al Dschasira« konfrontieren wollte, erklärte Scheich Hamad, das sei für ihn »kein Thema«. Damit sei das Treffen beendet, erklärte Cheney, der Emir stimmte zu und ging. Die Begegnung habe keine Minute gedauert.
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