Der Preis der Hinhaltetaktik

Indem die Kanzlerin die staatlichen Hilfen verzögert, bringt sie den Euro in Gefahr

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 3 Min.

Paradoxer könnte die Situation nicht sein: Angesichts der bislang tiefsten Krise der europäischen Einheitswährung finden sich linksalternative Kritiker des Euro argumentativ auf der Seite seiner vehementesten Verteidiger wieder, während der bundesdeutsche politische Mainstream durch sein Abwarten offenbar in Kauf nimmt, den Euro eher über kurz als über lang zu Grabe zu tragen.

Paradox ist dies schon deshalb, weil letzterer sich als Erbe der »großen Europäer« Helmut Kohl und Theo Waigel präsentieren. Diese hatten sich seinerzeit als Kanzler und oberster Kassenwart der Republik trotz aller Stammtischparolen pro D-Mark vehement für die kompromisslose Einführung der Einheitswährung eingesetzt.

Jene Stammtische sind es nun, die willfährig assistiert durch hiesige Boulevardmedien nationalistische Urinstinkte bedienen. Bierselig wird hier skandiert, es könne nicht angehen, dass wir mit unseren Steuern »griechische Luxusrenten« finanzieren sollen. Mit Blick auf die wichtigen Wahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zeigt sich Kanzlerin Angela Merkel davon derart beeindruckt, dass sie den Hellenen zwar Unterstützung zusichert, im Stillen aber darauf hofft, der Kelch gehe noch einmal an ihr vorüber. Einzig greifbares Resultat ihres Aussitzens ist bislang, dass der Preis für den Verbleib Griechenlands im Euroraum auch für die Bundesrepublik in die Höhe ging. Denn nichts lieben die aus unsicheren Ereignissen Gewinne schöpfenden Finanzmarktspekulanten so sehr, wie politische Unentschlossenheit und Panikmache. Wie die in die Höhe schießenden Risikoaufschläge für die händeringend nach neuen Krediten suchenden Athener Kassenwarte beweisen, hat man jenes Ansinnen nicht zuletzt von Berlin aus bislang bestens bedient.

Spätestens wenn weitere Länder wie Portugal, Spanien und Irland folgen werden, wird man nicht mehr nur über die vermeintlichen Sünder sowie über Strategien diskutieren, wie diese ihren Hals aus der Schlinge bekommen könnten. Schon jetzt wird der Ausstieg Griechenlands aus der Einheitswährung als ein denkbares Szenario erörtert. Sollte jener Fall tatsächlich eintreten und andere Staaten dem folgen, steht der Euro insgesamt zur Disposition. Daran aber kann keinem der Mitgliedsländer gelegen sein – auch nicht der Bundesrepublik, deren Volkswirtschaft wie keine andere vom Wegfall der Wechselkurse profitiert hat. Es fiele indes nicht allein jener zweifelhafte, durch exzessives Lohndumping erzielte Wettbewerbsvorteil der deutschen Exportwirtschaft weg. Ein Rückfall zu nationalen Währungen birgt aufgrund der Stärke der deutschen Volkswirtschaft zudem ein schwer kalkulierbares Aufwertungspotenzial mit negativen konjunkturellen Wirkungen. Das dürfte eigentlich auch der Bundeskanzlerin nicht entgangen sein. Im Unterschied zu ihr hat Finanzminister Wolfgang Schäuble durchblicken lassen, dass ihm jene Zusammenhänge durchaus bewusst sind.

Ob er der Kanzlerin allerdings auch die Folgen ihrer Hinhaltetaktik vor Augen geführt hat, kann nur gemutmaßt werden. Unzweifelhaft fest steht allerdings bereits jetzt: Die Bundesrepublik wird sich aus wohlverstandenem Eigennutz an einer Hilfsaktion für Griechenland beteiligen müssen, um den Euro aus seiner existenziellen Krise herauszuhelfen. Offen ist dabei lediglich die Frage des Preises.

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