Austern-Safari als genüsslicher Naturschutz
Das Wattenmeerzentrum bei Ribe an der dänischen Nordseeküste lädt zu besonderen Artenschutzwanderungen ein
Anne, Meeresbiologin im Wattenmeerzentrum nahe der alten Wikingerstadt Ribe an der dänischen Nordseeküste, blickt in die Runde. Gut 30 unternehmungslustige Wanderer haben sich in der Cafeteria versammelt. Gut verpackt, schließlich herrschen noch immer im Watt frostige Temperaturen. Die meisten kommen aus Dänemark, dazu Schweden aus Malmö zum Wochenendausflug und ein Paar mit Mänteln aus Robbenfell, vielleicht aus Grönland. Auch einige Deutsche sind dabei, schließlich ist die Grenze zu Schleswig-Holstein nur 50 km entfernt.
Es geht ins Watt zu Austernbänken vor der Küste, die sich seit einigen Jahren immer mehr ausweiten. Wahrscheinlich sind einst pazifische Zuchtaustern (Crassostrea gigas) ihren Drahtgestellen vor dem holländischen Zeeland entkommen und haben im Laufe weniger Jahrzehnte im gesamten Wattenmeer von Holland bis hinauf zum dänischen Esbjerg Sandbänke gefunden, auf denen sie gut gedeihen. Biologen sehen in der spontanen Ausbreitung der Pazifikauster eine »Bio-Invasion«, die das ökologische Gleichgewicht der Wattlandschaft stört. »Wir beobachten das schon«, sagt auch Anne, »schließlich siedeln die Austern dort, wo bisher Miesmuscheln lebten. Von denen ernähren sich wiederum Eiderenten. Und diese Nahrungskette ist nun unterbrochen«. Insofern könnte man die Austern-Safari im Watt sogar als einen, wenn auch winzigen Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt im dänischen Wattenmeer betrachten, das im Laufe des Jahres 2010 offiziell zum Nationalpark erklärt wird.
Zu allen Jahreszeiten können Wanderer bei Ebbe, wenn der Meeresspiegel rund 180 cm tiefer liegt als bei Flut, auf schlickigem Untergrund viele Kilometer ins Watt hinaus wandern. Doch vor allem im Winter, bei Nebel oder Niederschlägen, kann die Orientierung schnell verlorengehen. Anne zeigt ihr GPS Gerät: »Bitte immer zusammenbleiben. Im Watt sind wir ein Team, das keinen zurücklässt«. Ein Mitarbeiter gibt Watthosen mit integrierten Gummistiefeln aus. Schließlich geht es auch durch einige Priele, Wasserläufe im Watt, deren Tiefe man nicht genau vorhersagen kann. Ein scharfer Ostwind bläst über die ebene Wattfläche und der Gruppe in den Rücken, das Wasser der Nordsee wird dadurch noch weiter hinaus gedrückt. Die eisige Wattlandschaft erinnert an Bilder von Südpolexpeditionen. Salzwasser bedeckt moderige Flächen, aus denen sich die Gummistiefel beim Gehen nur sich mit einem schmatzenden Geräusch lösen. Eine Zeit lang sind noch schemenhaft die Umrisse der von nur drei Dutzend Menschen bewohnten Wattinsel Mandø auszumachen, doch bald ist die Gruppe allein mit sich und der Natur.
Kleine, nur rund einen Meter hohe Erhebungen rücken ins Bild. Ein letzter Priel will durchwatet sein, dann ist die Austernbank erreicht. »Hier liegen mehrere hundert Tonnen Austern«, weiß Anne, »und es ist kein Problem, für den eigenen Bedarf oder Genuss welche mitzunehmen.« Erfahrene Austernsammler haben Taschen und Körbe dabei und beginnen zu sammeln. »Nicht die riesigen«, warnt Lars aus Odense, »die haben auch nicht mehr Muschelfleisch als kleinere.« Einige haben Austernmesser dabei, mit kleiner stumpfer Klinge, und öffnen gleich einige der klobigen Muschelgebilde. Lars setzt das Messer dort an, wo ein Muskel die Schalen zusammenhält und kippt die Klinge langsam im Spalt. Die Auster wird mit einem Ausdruck des Entzückens gleich weggeschlürft. Nach einem halben Dutzend gibt es eine Runde Armagnac, nebenan schenkt ein Paar mitgebrachten Sekt in Kelchgläser. Lars erzählt, dass er abends ein Dutzend Freunde zum Austernessen erwartet und füllt energisch einen Korb mit Schalentieren.
Bald drängt Anne zum Aufbruch, schließlich sollen weder Flut noch Sonnenuntergang die Gruppe überraschen. Drei Kilometer geht es zum Festlandsdeich zurück, ein durch volle Tüten und Taschen angenehm beschwerter Rückmarsch. Diverse Rezeptideen machen die Runde, doch die Fraktion der Puristen ist eindeutig in der Überzahl. So werden die meisten Austern noch am Abend nur mit Zitrone und etwas Baguettebrot verspeist werden.
- Infos: Visit Denmark, Glockengießerwall 2, 20095 Hamburg , Tel. (01805) 32 64 63, (0,14 Euro je Minute), Fax: (040) 65 03 19 30, www.visitdenmark.com.
- Wattwanderungen: Vadehavscentret, Okholmvej 5, Vester Vedstedt, DK-6760 Ribe, Tel.: (0045) 75 44 61 61, www.vadehavscentret.dk. Regelmäßige Wattwanderungen von drei bis fünf Stunden Länge, Austernwanderungen bis April
- Hinkommen: Per Bahn von Hamburg nach Ribe in rund drei Stunden. Flüge ab deutschen, Schweizer und österreichischen Flughäfen nach Billund (www.flughafen-billund.de) ab ca. 85 Euro. Von Billund ist Ribe auf der Landstraße 425 knapp 60 km entfernt und nach etwa einer Stunde erreicht. Günstige Mietwagentarife bieten z.B. Alamo, Tel.: (01805) 46 25 26, www.alamo.de oder Holiday Autos, Tel.: (01805) 17 91 91, www.holidayautos.de.
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