Löwenschmaus im Masailand
Kenia-Entdeckungen zwischen Indischem Ozean und Savannenlandschaft
Kennen Sie eigentlich Krokodil-Urlauber? Die Einheimischen am Diani Beach, dem kenianischen Bilderbuchstrand am Indischen Ozean, haben die Erklärung schnell zur Hand: Ausländische Touristen sind es, die, ähnlich wie die Krokodile, den ganzen Tag in der Sonne braten und nur fürs üppige Buffet zu ein paar Schritten zu bewegen sind. Dabei hat Kenia für Unternehmungslustige weit mehr zu bieten.
Am Leopard Beach Resort stoppen wir ein Sammeltaxi. Gleich gibt es hautnahen Plauderkontakt zu den Mitreisenden und dem Fahrer, dessen kärglicher Lohn von der Anzahl und der schnellsten Beförderung der Fahrgäste abhängt – Zeit ist auch in Kenia Geld. Nach wenigen Kilometern ist Ukunda erreicht, ein vielleicht 15 000 Einwohner zählender Ort, der nach Auskunft »Sachkundiger« – niemand weiß es korrekt – durchaus auch 50 000 Bewohner haben kann. Im Zentrum hat er, wie es sich gehört, eine Bank, eine Tankstelle und einen Supermarkt, dann Blechbuden und palmblattgedeckte Hütten, vor denen sich das wahre Leben abspielt: rangelnde Kinder, Kochstellen, auf denen es brutzelt, Ziegen und Schafe, plauschende Frauen. Beeindruckend der Markt, wo ebenerdig und auf Lattenständen alles angeboten wird, was das afrikanische Herz begehrt.
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Wenige hundert Meter weiter wird der Ukunda-Alltag immer ländlicher. Raymondo, ein dunkelhäutiger Hotelboy, führt uns in seiner Freizeit durch die Gassen, die in der Regenzeit einer Schlammwüste gleichen; jetzt sind sie braunsandig-trocken. Schuster, Schneider, Tischler gehen unter freiem Himmel ihrem Gewerbe nach. Wasserverkäufer schieben Karren mit Kanistern von einer Familie zur anderen, eine Wasserleitung gibt es nicht. Raymondo nächtigt in einer Absteige für monatlich umgerechnet zehn Euro – einem Fünftel seines Einkommens. Frau und Kinder wohnen weit entfernt. Etwa zwölf Quadratmeter misst der Raum: eine einfache Schlafmatte mit Moskitonetz, zwei Hocker, ein kleiner Tisch, ein Regal, eine Benzinfunzel und Löcher im Palmdach, durch die der Regen ungehindert fließen kann. Stolz zeigt Raymondo Schulhefte, in die er deutsche Vokabeln geschrieben hat. Sein Deutsch ist recht gut. Sein Kommentar: »Wir in Kenia leben von euch Touristen. Also müssen wir auch eure Sprache kennen.« So denken viele. Denn der Tourismus ist eine der wichtigen Einnahmequellen des ostafrikanischen Landes neben Tee-, Kaffee-, Blumen- und Gewürzexport.
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Von Diani Beach machen wir einen Abstecher in das 40 Kilometer entfernte schwül-heiße Mombasa. Der bedeutendste Hafenort Ostafrikas verbreitet orientalisch-afrikanisches Flair. Immerhin leben hier 40 verschiedene Volksgruppen miteinander: schwarzhäutige Afrikaner vieler Stämme, tief verschleierte Araberinnen, indische Großfamilien.
Schnell haben wir in der historischen Altstadt einen Reiseführer gefunden, den 18-jährigen Ali. Er führt uns durch die verwinkelten Gassen mit ihren Souvenirläden, den Werkstätten der Silberschmiede, den maroden Häusern mit kunstvoll geschnitzten Holzbalkons, Erkern und Eingangstüren. Über allem thront Fort Jesus, die ehrwürdige Festung aus portugiesischer Zeit. Unser Ziel ist der Dhauhafen. Vier der dickbauchigen, hölzernen Ozeansegler – heute bewegen sie sich mit Dieselhilfe – liegen am Kai vertäut. Sie kommen aus Pakistan und Somalia, aus Tansania und dem Oman. Noch um 1940 waren es etwa 250, die jährlich hier festmachten. Aus einem nahegelegenen Lagerhaus schleppen im Laufschritt wie in grauer Vorzeit schwitzende Lastenträger Säcke mit Mehl, Kaffee und Gewürzen an Bord, placken sich ab mit Fernsehgeräten, Teppichen und Waschmittelkartons.
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Von Mombasa aus führt uns die Tour in das Masai-Mara-Wildreservat, dessen hügelige Savannenlandschaft nördlicher Ausläufer des tansanischen Serengeti-Schutzgebietes ist. Safari und damit frühes Aufstehen im Sarova Mara Game Camp mit seinen luxuriösen Zeltunterkünften sind angesagt. Schließlich hat hier Morgenstunde nicht nur Gold im Munde, sondern sie garantiert auch die besten Tierbeobachtungen.
Der japanische Safari-Minibus, in Kenia mit einem aufklappbaren Dach touristenfreundlich umgebaut, steht bereit. Auf holpriger Piste geht es über Stock und Stein. Dann hat der 50-jährige James Muigai, Fahrer und Guide in einer Person, zwischen Schirmakazien und Dornengestrüpp eine Elefantenherde ausgemacht. Im Hintergrund die Elefantenkuh mit ihrem Baby, das Schutz suchend unter dem Bauch des Muttertieres dahintrottet; vorn ein an Zweigen knabbernder Bulle. Irritiert hebt der den Rüssel, prustet mit Getöse, spreizt, mit den Vorderbeinen scharrend, die Ohren und macht dann einen Drohschritt auf uns zu. Für alle Beteiligten wird's nun Zeit, den Rückzug anzutreten. Lockt doch wenig weiter eine Gruppe Giraffen, die neugierig ihre langhalsigen Köpfe über Bäume und Gesträuch recken.
Und so sind wir dabei, fotogerecht die »Big Five« zu sammeln – Löwe, Leopard, Nashorn, Elefant und Büffel. Mit etwas Glück kein allzu schwieriges Unterfangen im Masai-Mara-Wildreservat, denn die Tiere haben hier fast jegliche Scheu vor den Besuchern verloren. James hat unterdessen einen Löwen ausgemacht. In einer Sandkuhle hält er Siesta, lässt sich von uns und unserem Fahrzeug nicht stören. Des Rätsels Lösung – das Tier ist behäbig-appetitlos. Denn nur wenige Meter weiter liegt unter einem Busch das vor Kurzem gerissene Zebra – der rechte Festschmaus zum Vormittag. Die Reste davon werden später Hyänen und Geier übernehmen.
Das große Erlebnis im Masai-Mara-Wildreservat aber sind kleine dunkle und hellere Tüpfelchen, die in der Ferne zu Hunderten endlos über das Grasland verstreut sind. Beim Näherkommen entpuppen sie sich vor allem als Gnus, Zebras und Antilopen, die aus der sommers trockenen Serengeti ins noch ein wenig grüne Masai-Mara-Gebiet ziehen. Um die zwei Millionen Tiere sollen es sein, die sich alljährlich auf Wanderschaft gen Norden begeben; im Herbst dann in umgekehrte Richtung.
Was wäre aber ein Besuch im Wildreservat ohne eine Begegnung mit seinen ursprünglichen menschlichen Bewohnern. Also machen wir uns auf, eine Masai-Siedlung zu erkunden. Nach langem Palaver und zehn Euro Trinkgeld wird uns Einlass in den ringförmigen, dornenbewehrten Kral gewährt. Um das Rund gruppieren sich zwanzig kleine Hütten, erbaut aus Ästen, Lehm und Kuhdung. Ein doppelter Eingang soll vor unliebsamen Gästen schützen. Schließlich tummeln sich des Nachts Raubtiere vor dem Kral.
Junge Leute, schlank und hoch aufgeschossen, in die typisch-roten Umhänge mit Perlenschmuck gehüllt, begleiten uns zum Familienchef, der über alle Dinge des täglichen Lebens entscheidet. 97 Jahre zählt der Alte und 42 eigene Kinder obendrein. Immerhin war er mit neun Frauen verheiratet, denn Polygamie hat bei den Masai Tradition.
Der ganze Stolz der Halbnomaden sind ihre Rinder. Gott hat sie gleich nach den Masai selbst geschaffen, heißt es. Nur spielt auch den Rinderbeständen derzeit das Klima übel mit. In einigen Gebieten Kenias hat es seit drei Jahren nicht mehr geregnet. Flüsse und Wasserstellen trocknen mancherorts aus, Felder veröden. In der Masai-Siedlung, die wir besuchen, sind 50 Rinder durch Futter- und Wassermangel verendet. Doch unverdrossen schleppen die bunt gekleideten Masaifrauen die Wasserkrüge und -kanister für Mensch und Vieh kilometerweit herbei.
- Kenya Tourist Board, c/o TravelMarketing Romberg TMR GmbH, Schwarzbachstrasse 32, 40822 Mettmann, Tel.: (02104) 83 29 19, Fax: (02104) 91 26 73, E-Mail: kenia@travelmarketing.de, www.magical-kenya.de
- Literatur: »Kenia & Nordtansania«, Iwanowskis Reisebuchverlag, 25,95 € €; »Kenia«, Reise Know-How Verlag, 25,00 €€ ; Richtig Reisen »Kenia/Tansania/Sansibar«; DuMont Reiseverlag, 24,95 €
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