Hauptsache dabei
Egal ob mit Schwarz oder Rot – die NRW-Grünen möchten regieren
Nein, Sylvia Löhrmann ist keine Freundin einer rot-rot-grünen Regierungsbildung nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl. »Wir wollen die Linkspartei aus dem Landtag heraushalten«, betont die grüne Spitzenkandidatin im Interview mit dem Kulturmagazin »engels« aus Wuppertal. Die LINKE in ihrem Bundesland sieht sie außerhalb des Spielfeldes agieren und wiederholt fortwährend, dass weder das dortige Personal eine Koalition wolle, noch deren Programmatik dies zulasse. Gleichzeitig hält sie wegen der Themen, bei denen Schnittmengen zwischen Grünen und LINKEN zu finden sind, eine weitere Partei neben der ihren für schlicht überflüssig. »Die brauchen wir nicht für längeres gemeinsames Lernen, für die Abschaffung von Studiengebühren, für die Einführung eines Sozialtickets. Das kriegen SPD und Grüne auch alleine hin.«
Falls aber der Souverän am 9. Mai anders entscheidet und keine absolute Mehrheit für eine SPD-Grüne-Regierung zu Stande kommt, möchte Sylvia Löhrmann mit allen Beteiligten verhandeln. Beobachter halten mittlerweile eine schwarz-grüne Regierung für sehr wahrscheinlich. Auch diese Option schockt die grüne Spitzenfrau nicht. Mit Johannes Rau, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück hat die Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag in den vergangenen 15 Jahren drei Sozialdemokraten zu Ministerpräsidenten gewählt, die nicht gerade für ökologische und soziale Politik standen. Ein wiedergewählter CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers einer schwarz-grünen Koalition wäre für die schmerzerprobten NRW-Grünen zu verkraften.
Apropos Kraft. Natürlich würde Sylvia Löhrmann lieber mit Hannelore Kraft regieren. Die beiden Spitzenfrauen von SPD und Grünen verbindet viel. Löhrmann ist 1957 in Essen geboren, Kraft 1961 in der Nachbarstadt Mülheim an der Ruhr. Beide studierten im Ruhrgebiet. Sylvia Löhrmann ist Lehrerin und unterrichtete jahrelang an einer Gesamtschule in Solingen. Hannelore Kraft war noch vor fünf Jahren Wissenschaftsministerin. Eine grundlegende Reform des dreigliedrigen Schulsystems in NRW gilt bei beiden Kandidatinnen als Herzensanliegen. Die ehemaligen großen Streitthemen zwischen SPD und Grünen in Düsseldorf scheinen beigelegt. Das Ende der Steinkohleförderung an der Ruhr, gegen das sich die SPD in den vergangenen Jahrzehnten vehement gewehrt hatte, ist beschlossen. Der weitere Abbau von Braunkohle im Rheinland, gegen den die Grünen rebellierten, ist ebenfalls beschlossen und deshalb nicht zu stoppen. Eine harmonische Regierung der beiden Parteien wäre also möglich, gäbe es die Umfragewerte nicht, die die LINKE als Zünglein an der Waage verorten.
Warum aber wehren sich nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Grünen und besonders Sylvia Löhrmann gegen eine gedeihliche Zusammenarbeit mit der LINKEN? Nicht nur enttäuschte Sozialdemokraten sind bei der LINKEN in NRW eingetreten, sondern auch viele enttäuschte Grüne. War Hartz IV für SPD-Mitglieder der Grund, ihrer Partei den Rücken zu kehren, so gilt die grüne Zustimmung zur Beteiligung am Afghanistankrieg als Beginn des Exodus langjähriger Mitglieder aus der Partei. Dass nun die gebliebenen Grünen mit den Abtrünnigen zusammenarbeiten sollen, wird bei Sylvia Löhrmann auf großes Unbehagen stoßen.
Auf dem vierten Platz der Landesliste der LINKEN kandidiert Rüdiger Sagel, der seit 1998 im Düsseldorfer Landtag sitzt, zunächst für die Grünen, seit seinem Austritt im Jahr 2007 als einziger NRW-Landtagsabgeordneter der LINKEN. Löhrmann und Sagel sind seit drei Jahren nicht gut aufeinander zu sprechen. Fragt man Rüdiger Sagel nach seiner einstigen Parteifreundin, wird er deutlich: »Sylvia Löhrmann hat ihre ehemaligen sozialökologischen Positionen aufgegeben, um mit der CDU regieren zu können.« Andere Stimmen in der LINKEN in NRW klingen natürlich etwas versöhnlicher.
Die Arroganz allerdings, mit der viele Grüne eine konstruktive Zusammenarbeit mit der LINKEN ausschließen, dürfte zumindest Sylvia Löhrmann aus eigener leidvoller Erfahrung bekannt vorkommen. Bis 1995 regierte im bevölkerungsreichsten Bundesland die SPD mit absoluter Mehrheit und absolutistischer Attitüde. Für die Herrschenden waren die Grünen nur Chaoten. Als Sylvia Löhrmann vor 15 Jahren das erste Mal in den Landtag gewählt wurde, wurden die Grünen trotz ihrer Regierungsbeteiligung vom Landesvater Johannes Rau und seiner SPD stets wie ungezogene Kinder behandelt, nicht wie politische Partner.
Die Lektion, wie mit jungen Parteien umzugehen sei, haben die Grünen zu jener Zeit von Johannes Rau, Wolfgang Clement und Franz Müntefering anscheinend gründlich gelernt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.