Noch tiefer in den Keller
Die NRW-SPD feiert sich als Wahlsiegerin, dabei schnitt sie noch schlechter ab als 2005
Als die SPD bei der Landtagswahl vor fünf Jahren 37,1 Prozent der Stimmen errang, da herrschte blankes Entsetzen über die, so SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück, »bittere Niederlage«. Nicht nur die Macht in ihrem einstigen Stammland NRW verlor die SPD, sondern auch 28 ihrer zuvor 102 Sitze und knapp sechs Prozentpunkte Wählerzustimmung. Die Uhrzeiger standen auf kurz nach Hartz IV. Lediglich 3 060 000 Menschen an Rhein und Ruhr schenkten den Sozialdemokraten im Mai 2005 ihre Stimme. Tiefer in den Keller sinken konnte die Partei kaum, so dachte man seinerzeit.
Doch bei der vorgestrigen Landtagswahl schnitt die NRW-SPD aller Euphorie zum Trotze noch schlechter ab. Zumindest dann, wenn man die nüchternen Zahlen betrachtet: Die SPD büßte erneut 2,6 Prozentpunkte, sieben Parlamentssitze und 80 000 Wähler ein.
Wie kommt's? »Hartz IV war das Waterloo der SPD«, sagt Rudolf Dreßler, Sozialdemokrat und ehemaliger Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. »Die SPD hat noch nicht zu ihrer alten Identität und zur Vertrauenswürdigkeit zurück gefunden«, so das Ex-Mitglied des SPD-Präsidiums, das heute in Königswinter bei Bonn lebt.
34,5 Prozent – so schlecht wie diesmal, und zwar exakt so schlecht, war die SPD in Nordrhein-Westfalen zuletzt 1954. Die Geschichte ist eine Ironikerin: Auch damals war diese Prozentzahl hinreichend, um einen CDU-Ministerpräsidenten vom Thron zu stürzen, wenn auch nicht unmittelbar. Ab Februar 1956, knapp zwei Jahre nach der Wahl, stellte die SPD mit Fritz Steinhoff erstmals einen NRW-Regierungschef. Grundlage war ein konstruktives Misstrauensvotum gegen den bisherigen christdemokratischen Amtsinhaber Karl Arnold. Steinhoffs Interregnum sollte nur zwei Jahre währen: Zwar konnte die SPD 1958 fünf Prozent dazu gewinnen, doch die CDU holte die absolute Mehrheit. Zwischen 1962 und 2000 verbuchte die SPD stets Stimmergebnisse zwischen 40 und über 50 Prozent. 1966 übernahm eine sozialliberale Koalition die Macht; diesmal auf Dauer.
Sozialdemokratische Höhepunkte waren die Wahlen 1985 und 1990. Die SPD holte 52,1 beziehungsweise 50 Prozent der Simmen. Damals stand der SPD-Landesvater Johannes Rau auf dem Zenit seiner Popularität. Sozialabbau und Kriegsbeteiligung, kurz: Schröder – das war noch Schnee von morgen. Und die christdemokratische Konkurrenz präsentierte bei jeder Landtagswahl einen neuen, meist nicht sehr attraktiven Spitzenkandidaten. Gerade im Ruhrpott, so merkten Spötter an, hätte die SPD seinerzeit Bierpullen als Kandidaten aufstellen können. Und sie hätte doch gewonnen.
Spätestens seit 2005 gilt, mit Giovanni Trapattoni gesprochen, für die NRW-SPD das Motto »schwach wie eine Flasche leer«. Oder ist die Flasche doch neuerlich halbvoll? »Die SPD ist wieder da!«, rief Hannelore Kraft am Wahlabend aus. Sie wirkte dabei euphorisch. Denn zu diesem Zeitpunkt hoffte die Spitzenkandidatin noch, dass die SPD stärkste Partei werden, dass es darüber hinaus für eine eigenständige Mehrheit von Rot-Grün reichen würde. Kraft glaubte zudem, sie habe den bundesweiten Abstiegstrend ihrer Partei gestoppt. Doch all das ist nicht der Fall: Die CDU liegt einen Tacken weit vorne. Rot-Grün fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Und Rudolf Dreßler glaubt: Der angebliche Triumph »war nur ein erster Schritt zur Konsolidierung der SPD nach dem katastrophalen Wahlergebnis bei der Bundestagswahl – mehr nicht.«
Die SPD steht nun vor der Alternative Rot-Grün-Rot oder Große Koalition. In Letzterer wäre sie Juniorpartner und könnte wohl nicht die Ministerpräsidentin stellen. Rudolf Dreßler warnt denn auch vor »einem Hineinstürzen« in die Arme der CDU. Rot-Grün-Rot sei »eine demokratische Machtoption«, die SPD müsse sie ernsthaft prüfen. »Die Ergebnisse«, so Dreßler, »werden ja öffentlich sein«. Bisher sei Rot-Grün-Rot nie an der LINKEN gescheitert, »sondern stets an der SPD oder den Grünen«, sagt der Sozialdemokrat mit Blick auf Hessen, Thüringen und das Saarland. Und er ergänzt: »Kraft sollte diese Wähler-Option nicht ausschließen, ohne auszuloten, ob eine Koalition machbar ist.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.