»Ich bin unschuldig«
TV-Tipp: »Flick«
Es ist nur eine Vorsilbe und doch spricht sie Bände über eine beispiellose Kriegskarriere: Auf die Frage, ober schuldig oder nicht schuldig sei, sagt Friedrich Flick vor 63 Jahren beim Nürnberger Prozess: »Ich bin unschuldig«. Unschuldig, ein aufgeladenes, bildgewaltiges, fast biblisches Wort und wie wenig es ausgerechnet auf diesen emblematischsten aller Kapitalisten zutraf, zeigt die großartige Dokumentation »Flick«, heute Abend auf Arte.
Knapp zwei Stunden lang wühlt sich Thomas Fischer durchs Leben des westfälischen Holzhändlersohns, der dank kühler Berechnung, wirtschaftlichem Geschick, ständigen Bestechens und großer krimineller Energie zum größten deutschen Stahlmagnaten im Reich emporstieg. Und am Ende dieser gekonnten Mischung aus schwarz-weißen Archivmaterial, Expertenaussagen in Farbe und nachgestellten Spielszenen steht der Schluss: Die Macht der Familie Flick ist ein Produkt politischer Elitenförderung über alles Systemgrenzen hinweg.
Der Eindruck, den der Film vermittelt, entsteht durch eine bemerkenswerte Technik: Fischer lässt den verurteilten, amnestierten, rehabilitierten, letztlich geehrten Kriegsverbrecher selbst reden, posthum. Im wochenlangen Verhör schildert er dem einst aus Deutschland emigrierten US-Ermittler Eric Kaufman (Peter Jordan) 1947 seine Karriere, verteidigt die Kollaboration mit dem NS-Regime, die Arisierungsgewinne und Zwangsarbeitereinsätze, die Mitschuld als Teil betriebswirtschaftlicher Mischkalkulation und gerät dabei gelegentlich ins Schlingern, ohne allerdings je die Kontrolle zu verlieren. Er laviert, haspelt, stockt, scheint alle Schuld erst zu realisieren, als er sie selbst zum Besten gibt. Nur schwanken wird er nie, nicht hier, nicht vor dem Richter, nicht in Haft, schon gar nicht danach.
So zeichnet der Autor den Schwerindustriellen geschickt zum Prototyp des ideologiefreien Überzeugungstäters, dem es nur ums eine ging: Seinen Laden, die Maschinen, das Getriebe am Laufen zu halten, für sich, die Sache, für spätere Generationen. Noch aus dem »alliierten Kerker«, wie die junge Bundesrepublik Haftanstalten der Siegermächte verhöhnte, durfte der gnädig (sieben Jahre) verurteilte Patriarch sein Imperium vor der Zerschlagung bewahren. Dank Adenauers Wiederbewaffnungsträumen, gesellschaftlichem Revanchismus, vor allem aber bayerischer Patronage hinterließ er seinen Söhnen den mächtigsten Konzern im Land, wofür die Eliten den verbrecherischen Vater noch beim Begräbnis 1972 die Hüte zogen. Dass sein Jüngster Friedrich Karl das Werk aus Bestechung und Bereicherungsdynamik bis zum Parteispendenskandal steigerte, folgt da nur der alten Wirtschaftswunderlogik.
So ist »Flick« nicht nur eine gelungene Doku, sondern wie zuvor die dynastische Biografien von den Quandts (BMW) bis zu den Bushs (USA) ein Sittenbild des Systems. Politik, drückt es der Historiker Kim Christian Priemel im Film aus, »war für Friedrich Flick ein rein produktiver Faktor«. Beides zusammen hat schon immer die einen reich gemacht und andere arm.
Arte, 20.15 Uhr
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