Alte Kontrahenten auf gemeinsamer Mission

Die ehemaligen Schachweltmeister Anatoli Karpow und Garri Kasparow setzen in ihrem Wahlkampf auf deutsche Unterstützung

  • Dagobert Kohlmeyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Anatoli Karpow und Garri Kasparow lieferten sich epische Zweikämpfe um die Schachkrone der Welt. Heute spielen die einstigen Rivalen eine politische Partie. In Moskau, New York oder Berlin, wo immer sie in diesen Tagen auftreten, wird ein gemeinsames Ziel verkündet: »Wir wollen den Weltverband FIDE erneuern und dem Schach seine Reputation wiedergeben.« Es scheint ihr schwierigstes Spiel zu werden.
Garri Kasparow, Robert von Weizsäcker, Anatoli Karpow (v.l.)
Garri Kasparow, Robert von Weizsäcker, Anatoli Karpow (v.l.)

Kasparow unterstützt Karpows Kandidatur zum FIDE-Präsidenten, was auch der Deutsche Schachbund (DSB) tut. Der DSB hat den 59-jährigen Karpow sogar offiziell nominiert. Das ist möglich, weil der Moskauer Ehrenmitglied eines Schachklubs in Hockenheim ist.

Beim Treffen mit den beiden Sportlegenden in Berlin gab der Präsident des Deutschen Schachbundes, Robert von Weizsäcker, selbst noch bekannt, dass er für den Vorsitz der Europäischen Schachunion (ECU) kandidiert. Weit wegziehen müsste er dann nicht. Die ECU hat ihr Büro in Berlin.

»Kasparow hat mich am Telefon dazu aufgefordert. Ich zögerte erst, weil ich beruflich stark belastet bin. Aber dann sah ich die einmalige Chance, etwas zu bewegen«, sagt von Weizsäcker. So trifft sich geballte Intelligenz, um die Weichen für die in ihren Augen notwendigen Veränderungen im Weltschach zu stellen.

Die Wahlen zu den Gremien der FIDE und der ECU finden im Herbst bei der Schacholympiade in Chanty-Mansisk in Sibirien statt. Für Karpow führt der gegenwärtige Präsident Kirsan Iljumschinow (Russland) den Weltverband ohne Konzept. Ausgerechnet in Kasparow fand der Moskauer nun seinen größten Fürsprecher. »In meinen Augen ist Karpow in der Lage, die Situation wesentlich zu verändern. Ich hoffe, dass er die Chance dazu bekommt«, erklärt der wohl stärkste Spieler aller Zeiten. »Der Wahlkampf wird hart, aber wir haben die besseren Argumente«, ergänzt Robert von Weizsäcker.

Der deutsche Schachbund-Präsident muss sich in Europa mit Silvio Danailow (Bulgarien) und Ali Nihat Yazizi (Türkei) auseinandersetzen, während Karpow den umstrittenen FIDE-Chef Iljumschinow zum Gegner hat. Dieser ist Staatschef der russischen Republik Kalmückien und wird angeblich von Russlands Regierung gestützt. Der russische Verband ist gespalten, die Mehrheit aber für Karpow.

»Das Schach gehört in die Hände der Spieler«, fordert von Weizsäcker, der Fernschach-Großmeister ist und als seinen designierten Stellvertreter den Engländer Nigel Short dabei hat. Geld als Schmiermittel für die Wahlen schließen beide Kandidaten betont aus. Beim FIDE-Kongress 2006 in Turin wanderten Schecks und Bargeld angeblich in die Hände etlicher Delegierter aus der Dritten Welt, und Iljumschinow blieb im Amt. Karpow: »Wenn wir so etwas tun, haben wir unseren Ruf gleich verspielt.« Der Russe und sein deutscher Partner treten an, um der Schachpolitik mehr Transparenz und Verlässlichkeit zu geben.

Abends im ARD-Hauptstadtstudio geht der Diskurs weiter. Mit Blick auf seinen früheren Gegner sagt Karpow: »Kasparow und ich sind nie Freunde gewesen, aber haben uns immer als Spieler geachtet. Als Garri nach einer Anti-Putin-Demonstration in Moskau verhaftet wurde, fuhr ich zu ihm ins Gefängnis.« Kasparow rechnet ihm diese Geste bis heute hoch an. Beide haben 2009 in Spanien ein Revival-Match zum 25. Jahrestag ihres ersten WM-Duells gespielt. »Es war schön, aber jede Story geht einmal zu Ende«, sagt Kasparow. Jetzt kämpfen die Schachlegenden darum, dem Spiel der Könige seine frühere Geltung wieder zu verschaffen.

Mit Kasparow und Short trafen sich übrigens zwei in Berlin, die 1993 ihr WM-Match in Eigenregie vermarkteten, was zur Spaltung der Schachwelt mit zwei Titelträgern führte. Lange Zeit wusste die Welt nicht, wer der wahre Schachkönig ist. Sponsoren blieben aus, der Weltverband ging fast pleite. Die FIDE macht keine Milliardenumsätze wie der Fußballverband. Knapp zwei Millionen Euro fließen im Jahr an Beiträgen aus den 167 Schach-Mitgliedsländern in die Kassen. Ein Teil davon sei 2008 bei den Ausgaben nicht deklariert worden, rügt Karpow. Das fehlende Geld schwäche die Marktmacht der FIDE.

Kasparow sieht seinen damaligen WM-Sidestep heute als Fehler und zieht mit Karpow und von Weizsäcker nun die Fäden in eine andere Richtung. Ob es ihm gelingt, ist für die Experten keineswegs sicher. »Kasparow war immer ein Revolutionär«, sagt Exweltmeister und Landsmann Boris Spasski. »Aber Schach liebt mehr die Evolution. Alles kann man nicht sofort durchsetzen.«

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