Bald hinter den Kulissen
Spekulationen über die künftige Rolle von Ministerpräsident Koch
Die Partei übte sich im Krisenmanagement: Am Dienstagabend schon wurde der bisherige Innenminister Volker Bouffier von den Kreisvorsitzenden und Landesvorstandsmitgliedern der hessischen CDU für die Nachfolge im Ministerpräsidentenamt und Landesvorsitz gekürt. Diese Nominierung erfolgte, wie bei der Hessen-Union üblich, einstimmig.
»Wir Liberale werden weiterhin ein Garant für stabile Verhältnisse sein«, ließ auch die Landes-FDP verlautbaren, deren Chef Jörg-Uwe Hahn in den letzten Jahren vor allem durch seine Vassallentreue und Freundschaft zu Koch aufgefallen war. Vize-Ministerpräsident Hahn, der schon vor rund zehn Jahren in den Turbulenzen des damaligen CDU-Schwarzgeldskandals loyal zu Koch gestanden hatte, hatte erst einen Tag vor der Öffentlichkeit vom bevorstehenden Ausstieg des Chefs und Freundes erfahren.
Niederlagen sind noch nicht verwunden
Unterdessen ließen die langen Gesichter der Abgeordneten des Bürgerblocks in den Gängen des Landtagsgebäude und den nahen Cafés in der Wiesbadener Altstadt ahnen, wie sehr Kochs Abgang seine Getreuen schockiert hat und weiter beschäftigt. Denn in der Hessen-CDU war alles auf ihn ausgerichtet und zugeschnitten. Koch, bisher auch die Nummer zwei der Bundes-CDU und Regierungschef seit 1999, war kein austauschbarer grauer Berufspolitiker, sondern ein hochbegabter und intelligenter Vertreter seiner Klasse und hervorstechendes Talent der vom konservativen »Stahlhelm-Flügel« und Personen wie Alfred Dregger und Manfred Kanther geprägten Hessen-CDU. Dass die frühere SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti nach der Wahl 2008 Koch ausgerechnet mit den Stimmen der Linksfraktion aus der Staatskanzlei verdrängen und ihn damit zum Verlierer abstempeln wollte, werden die wirtschaftlichen Eliten und Meinungsmacher im Lande der Sozialdemokratin nie verzeihen. Koch blieb damals nur mit Hilfe von vier wirtschaftsnahen SPD-Rechten im Landtag am Ruder. Bei der vorgezogenen Neuwahl 2009 verlor die CDU allerdings noch einmal 46 000 Stimmen und konnte sich nur mit Hilfe einer erstarkten FDP im Amt halten.
Dass er und seine Hessen-CDU schon nach zwei Wahlperioden faktisch abgewählt waren und Schwarz-Gelb Ende 2013 im Bund und in Hessen eine ähnliche Abstrafung durch die Wähler drohen könnte wie jüngst in NRW, mag den »Siegertyp« Koch endgültig darin bestärkt haben, rechtzeitig auf elegante Weise das sinkende Schiff zu verlassen. In den letzten Monaten hielt er sich in Landtagsdebatten auffällig zurück und überließ anderen die Niederungen der Landespolitik.
Dass ihm Hessen zu klein wurde und nun auch ein reibungsloser Wechsel in das Bundesfinanzministerium oder an die Spitze der Bundesbank nicht mehr anstanden, dürfte den Abgang beschleunigt haben. Gegen Angela Merkel und deren gescholtene »Sozialdemokratisierung« kann er auf absehbare Zeit in der Bundes-CDU wenig ausrichten. Selbst die konservativ-reaktionäre Wiesbadener CDU-Frau und Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ging jüngst öffentlich auf Distanz zu Koch und dessen Äußerungen über harte Einschnitte bei Bildung und Erziehung.
Dass der scheidende Ministerpräsident sich jetzt nur noch um Frau und Kinder kümmern wird, glaubt niemand. Koch wäre nicht Koch, wenn er nun in irgendeine Konzernetage verschwinden und sich ganz aus der Kommentierung des politischen Alltags heraushalten würde. Aus seiner Kanzlei in Eschborn bei Frankfurt heraus dürfte der Wirtschaftsanwalt weiter aufmerksam den weiteren Niedergang von Schwarz-Gelb verfolgen, Kontakte zu Gleichgesinnten spinnen, Seilschaften organisieren und ohne die Zwänge eines Parteiamts oder Mandats hinter den Kulissen Fäden ziehen.
Warten auf die Stunde des »Phoenix«?
Manche Beobachter spekulieren darüber, ob Koch insgeheim und seelenruhig mit wirtschaftsliberalen CDU-Dissidenten wie Friedrich Merz die Gründung einer neuen rechten Sammelbewegung vorbereiten könnte. Doch Parteineugründungen erscheinen in Deutschland als ein noch schwierigeres Unterfangen als sonstwo in Europa. Allerdings hat – selbst wenn jeder Vergleich hinkt – auch der 54-jährige SPD-»Aussteiger« Oskar Lafontaine 1999 alle Ämter niedergelegt und nach fünf Jahren ein Comeback hingelegt, das die Republik verändert hat.
Koch wäre zuzutrauen, dass er seelenruhig eine krachende Wahlniederlage von Schwarz-Gelb 2013 abwartet. Dann wäre er immer noch jung genug, um sich von seinen Freunden als »Starker Mann« und Krisenretter wie »Phoenix aus der Asche« herbeirufen zu lassen. Die Türen hat er bisher jedenfalls nicht zugeschlagen.
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