Vorbereitung auf soziale Einschnitte
Prof. Fritz Helmedag (TU Chemnitz) über Staatsverschuldung und geschürte Inflationssorgen
ND: Unter europäischen Regierungen wie auch dem Mainstream der Ökonomenzunft scheint Konsens über die Ursachen der Euro-Krise zu herrschen: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Ist die Staatsverschuldung demnach der sicherste Weg für den Untergang des Abendlandes?
Helmedag: Zunächst: Es gibt keine stichhaltige ökonomische Theorie, die einen strengen Zusammenhang zwischen Binnen- bzw. Außenwert einer Währung einerseits und dem Schuldenstand eines Landes andererseits herstellt. Auch empirisch ist eine solche stabile Beziehung nicht nachweisbar. So gibt es Länder, die einen sehr hohen Schuldenstand aufweisen wie zum Beispiel Japan, aber dennoch keine Schwierigkeiten bei einer Kreditaufnahme haben. Der Stand der öffentlichen Schulden sagt noch nichts über die Qualität einer Währung aus.
Dennoch ist, wie es heißt, Griechenland aufgrund seiner hohen Kreditbelastung zum ersten Opfer der Spekulationswelle geworden.
Hier spielten offenbar die ohnehin in der Kritik stehenden Ratingagenturen eine verhängnisvolle Rolle. So hat Standard and Poor’s Griechenland im Vorfeld der Spekulationen heruntergestuft. Daraufhin mussten Fonds und Versicherungen die betreffenden Anleihen aus dem Portefeuille nehmen, was ihren Kurs drückte. Spekulanten, die auf ein solches Szenario gesetzt hatten, konnten somit prächtig verdienen. Der Schuldenstand des griechischen Staates ist aber nicht dramatischer als etwa der Belgiens oder Italiens. Gewiss hat das relativ bescheidene ökonomische Gewicht Griechenlands eine Rolle gespielt. Bei kleinerem Volumen lässt sich ein Markt leichter in eine gewünschte Richtung bewegen.
Die Bundesrepublik wird vielfach als fiskalischer Musterknabe betrachtet, nicht zuletzt auch aufgrund der ab 2011 wirksam werdenden »Schuldenbremse« im Grundgesetz. Wie realistisch sind die damit verbundenen Ziele?
Mit der Grundgesetzbestimmung wird gewollt politischer Druck erzeugt. Ab 2016 dürfen sich der Bund strukturell nur noch mit 0,35 Prozent des BIP und die Länder ab 2020 gar nicht mehr über neue Kredite finanzieren. Damit versiegt eine durchaus sinnvoll nutzbare permanente Einnahmequelle der öffentlichen Haushalte. Stattdessen werden drastische Budgetkürzungen als Gebot der Stunde propagiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund real stagnierender Staatsausgaben, die im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bis 2009 sogar gesunken sind! Die geforderte Sparpolitik wirkt jedoch dämpfend auf Wirtschaftsdynamik und Beschäftigung. Haushaltssanierung über die Einnahmeseite wäre sinnvoller. Allerdings müsste hierzu die Besteuerung re-reformiert werden, indem man wieder stärker die Einkommen und Vermögen heranzieht, die in den vergangenen Jahren stark entlastet wurden. In Deutschland wird keine Vermögensteuer mehr erhoben, die Steuer auf Erbschaften ist im internationalen Vergleich eher gering und die Spitzensteuersätze wurden deutlich gesenkt. Hier sind derzeit von den politischen Mehrheiten offenbar keine Veränderungen gewollt. Wenn man zudem eine Neuverschuldung – außer in Notsituationen – faktisch verbietet, bleibt nur noch Sozialabbau.
Als Argumente gegen staatliche Kreditaufnahme wird auch auf deren Umverteilungswirkungen zu- gunsten der Gläubiger und die unverantwortliche Belastung künftiger Generationen hingewiesen.
Für Letzteres gilt schlicht und einfach: Die Schuld des sozusagen ewig lebenden Staates ist revolvierend, sie muss nicht an einem bestimmten Tag getilgt sein. Zu jedem Zeitpunkt steht simultan jeder Verbindlichkeit eine betragsgleiche Forderung gegenüber. Abgesehen vom Sachvermögen erben kommende Generationen eben nicht nur Schulden, sondern auch die korrespondierenden Ansprüche. Im Übrigen ist die deutsche Schuldenlastquote wegen des rückläufigen Zinsniveaus tendenziell gefallen. Das Umverteilungsproblem lässt sich mildern, wenn Zinsen wieder stärker besteuert werden. Hierzulande aber hat man mit der Zinsabschlagsteuer von pauschal 25 Prozent gerade erst eine eher überaus moderate Belastung eingeführt. Nicht nur angesichts der derzeitigen Haushaltslage wäre es angezeigt, solche Einkünfte wieder stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen.
Die Sorgen wegen der wachsenden Staatsverschuldung sind dennoch real. Aus Angst vor einer Inflation, die auch mit dem Fall des Euro-Kurses verbunden wird, nimmt das Verständnis für Sparrunden zu. Alles nur interessengesteuerte Phantomschmerzen?
Für den Euro zahlt man derzeit etwas über 1,20 Dollar. Es hat nach seiner Einführung Phasen gegeben, in denen der Wechselkurs unter der Parität zur US-Währung lag. Später stieg er bis auf einen Wert von 1,60 Dollar und kommt nunmehr auf ein als realistisch erachtetes Niveau zurück. Darüber freut sich insbesondere die deutsche Exportindustrie. Bei anhaltend gedrückter Binnennachfrage sehe ich statt wachsender Inflation eher die Gefahr stärker werdender deflationärer Tendenzen, die krisenverschärfend wirken können. Hinter der Debatte um den Euro, die fast an Hysterie grenzt, steckt ein durchschaubares politisches Kalkül. Ihr Ziel ist es, die angeblich über ihre Verhältnisse lebende Bevölkerung auf Einschnitte vor allem im Sozialen vorzubereiten. Meine Hoffnung, dass der Plan scheitert, hält sich angesichts des ökonomischen Wissens in Deutschland leider in Grenzen.
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