Umerziehung per Spielshow
Reeducation und digitale Revolution: Die Ausstellung »Atlasmacher« zieht erstaunliche Parallelen
So manch ein Berlin-Tourist wird sich dieser Tage fragen, was es mit dem mysteriösen Schriftzug »Re-Reeducation« auf sich hat, der am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus prangt. Die Installation an diesem Nebengebäude des Bundestags stammt von Lutz Dammbeck, seines Zeichens Professor an der Hochschule für bildende Künste in Dresden. Noch bis zum 11. Juli zeigt Dammbeck im Kunst-Raum des Bundestages seine Ausstellung »Atlasmacher«. Dort spielt auch jene Reeducation (zu deutsch: Umerziehung) eine große Rolle. Reeducation: So hieß das Nachkriegsprogramm der Alliierten, das aus autoritätsfixierten Deutschen demokratisch gesinnte Weltbürger machen sollte. Kein leichtes Unterfangen, schließlich hatten 12 Jahre nationalsozialistischer Gehirnwäsche die Deutschen nachhaltig geprägt.
Dammbeck interessiert sich für subtile Manipulationen in scheinbar offenen Gesellschaften. Die Reeducation drängt sich da als Fallbeispiel geradezu auf. Das Umerziehungs-Konzept basierte auf dem Buch »Ist Deutschland unheilbar?« des Psychiaters Richard M. Brickner aus dem Kriegsjahr 1943. Er empfahl, die verblendeten Deutschen wie Patienten in der Psychiatrie zu behandeln. Damals war die »Re-Education« in amerikanischen Nervenheilanstalten eine durchaus gängige Methode.
Brickners Werk galt als so wegweisend, dass eine Konferenz nach ihm benannt wurde. Jenes Treffen, auf dem Amerikas führende Soziologen, Ethnologen und Psychologen zusammenkamen, legte quasi die Eckpunkte der Re-Education fest. Oberster Grundsatz dieser »psychologischen Entmilitarisierung«: Die Deutschen sollten nicht merken, dass sie behandelt wurden.
Dammbeck präsentiert die mehrseitige Zusammenfassung der Konferenzergebnisse auf einem schlichten weißen Sockel. Daneben steht ein Flachbildschirm, auf dem der Ausschnitt einer Talkrunde mit Deutschlands bekanntesten TV-Entertainern in einer Endlosschleife läuft. Hans-Joachim Fuchsberger, einer der großen westdeutschen TV-Stars der Nachkriegszeit, erklärt dort einem staunenden Publikum, dass die auch heute noch beliebten Spielshows eigentlich auf Konzepten aus der amerikanischen Psychiatrie fußen. Sinn der Spiele war es, die Patienten von der Tatsache abzulenken, dass sie einer Therapie unterlagen, so Fuchsberger. Der Entertainer muss es wissen, schließlich moderierte er im Jahre 1960 die erste deutsche Game-Show »Nur nicht nervös werden«. Auf die scherzhafte Nachfrage, wie viele Patienten denn damals zugesehen hätten, antwortet Fuchsberger: »Eine psychisch gestörte Nation«. Dann bricht der Mitschnitt ab, und das Filmchen startet erneut.
Spielshows als Teil der Reeducation? Vielleicht. Dammbeck vermeidet eindeutige Antworten. Doch machen die von ihm ausgewählten Filme deutlich, wie sehr die US-amerikanischen Eliten von der Idee besessen waren, das Verhalten des Menschen mit Hilfe moderner Technologien vorhersagen und steuern zu können.
So zeigt Dammbeck Ausschnitte aus seinem Dokumentarfilm »Das Netz«, der sich mit den Anfängen des Internets befasst. Unter anderem berichtet er darin von den sogenannten Macy-Konferenzen, an denen zwischen 1946 und 1953 führende Wissenschaftler, Manager und Beamte (auch der CIA) teilnahmen. Die dort entwickelte »universale Theorie der Regulation, Steuerung und Kontrolle« sollte die Welt nachhaltig beeinflussen. Denn viele der Teilnehmer besetzten später Schlüsselpositionen »bei der Entwicklung von Computern, beim Bau von Waffen, in der Verhaltensforschung oder in der Soziologie«, so Dammbeck in einem Essay für die Internet-Plattform Telepolis. Reeducation und digitale Revolution bedienten sich derselben Ideen und Methoden.
Höhepunkt der Ausstellung ist der Nachbau des legendären »behavioristischen Experimentallabors Seek« aus dem Jahre 1970. Ein Computer überwacht dabei die Bewegungsabläufe von Mäusen zwischen zahllosen Metallwürfeln. Durch die Auswertung der Daten kann der Computer schließlich Voraussagen über das Verhalten der Nager treffen. Die chaotischen Mäuse helfen so, das Überwachungssystem immer perfekter zu machen: Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen sind unübersehbar.
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